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Dienstag, 9. Juli 2013

Adam Johnson - Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Genre: Roman, Gegenwartsliteratur
Gebundene Ausgabe: 687 Seiten
Verlag: Suhrkamp
Erscheinungsdatum: März 2013
ISBN: 978-3-518-46425-0

Während wir schon wieder mit festen Schritten auf das Jahr 2014 zu gehen, scheint es in einem Land der Welt auf ewig 1984 zu bleiben: Nordkorea - nur tatsächlich eher im orwellschen Sinne als unserem Verständnis der Achtziger entsprechend, denn den Menschen dort scheint es an allem zu fehlen: In maroden Wohnblocks, ohne fließend Wasser und Strom, leben die Bürger der Demokratischen Volksrepublik Korea in einer Welt zwischen Hunger, Elend, Gehorsam und Propaganda, abgeschottet vom Rest der Erde, regiert vom geliebten Führer. Was für uns wie eine sozialistisch-diktatorische Dystopie anmutet, ist für die Bürger Nordkoreas bittere Realität. Hier steht die Zeit still und der Zusammenbruch des Ostblocks und vieler anderer kommunistischer Staaten hat die politische Führung in Pjöngjang nur noch paranoider, noch rigoroser gemacht und trieb sie nur noch weiter in die Isolation, während die Bevölkerung mit Lügen statt mit Lebensmitteln versorgt wurde. Wenn solch ein politisches System nun über so viele Jahre Bestand hat, dann wachsen ganze Generationen wie unter der Käseglocke der Propaganda auf; manche Lügen sind so alt, dass sie scheinbar zu Wahrheiten geworden sind. Wie sollten die Menschen denn auch von anderem erfahren in einer Welt ohne freie Medien, Internet oder Kontakte nach außen? Hier ist nur das wahr, was die Partei und die Familie der Kims auch für wahr befinden.

In diese Welt wird Pak Jun Do geboren. Als vermeintlicher Sohn eines Waisenhaus-Direktors wächst er ebenso grausam und spartanisch wie die anderen Kinder im Haus "Frohe Zukunft" auf: Hungersnöte, Kälte und gefährliche Kinderarbeit stehen an der Tagesordnung. Ausgestattet mit dem Namen eines Revolutionshelden, was eher Stigma als Ehre ist, stehen die elternlosen Kinder an der Schwelle zur Ungewissheit und landen oft, wenn sie überhaupt irgendwo landen und nicht schon vorher sterben, beim Militär - so auch Jun Do. In der vollkommenen Dunkelheit der Tunnelsysteme im Grenzgebiet zwischen Nord- und Südkorea wird er ausgebildet und auf den Ernstfall, die Invasion der imperialistischen Aggressoren, vorbereitet, bis eines Tages ein hochrangiger Militär Jun Dos Einheit inspiziert und einen Spezialauftrag für den Jungen hat, den alle für einen Waisen halten. Jun Do stolpert von Zufall zu Zufall und wird doch immer tiefer in das dunkle Herz Nordkoreas gezogen, bis der Niemand aus der Provinz schließlich dem geliebten Führer, Kim Jong-il, selbst gegenübersteht. Doch der abenteuerliche Verlauf seines Lebens hat Jun Do bereits von einer Wahrheit jenseits aller Propaganda überzeugt. Es entbrennt ein atemraubender Showdown um Identität, Freiheit und die große Liebe.

Sonntag, 24. Juni 2012

J.R. Moehringer - Tender Bar

Gebundene Ausgabe: 464 Seiten 
Verlag: S. Fischer
Erscheinungsdatum: 03. März 2008
ISBN: 978-3-10-049602-7


J.R. wächst in den ärmlichen Verhältnissen Manhassets auf, einem schicksalsträchtigen Kaff im Schatten New York Citys, dessen Bucht bereits F. Scott Fitzgerald zu seinem Epos "Der große Gatsby" inspirierte. Zwischen den Tavernen der Arbeiterklasse, den Imbissen, den Lacrosse-Plätzen und den prunkvollen Villen der Reichen, findet der in einem schäbigen, kleinen Haus mit Mutter und Großeltern lebende Protagonist die Vaterfigur, die in seinem Leben so schmerzlich fehlt, in einer ganzen Bar.

Eine liebevolle Clique aus zwielichtigen Schluckspechten und Taugenichtsen wird zu dem männlichen Bezugspunkt im Leben des Jungen. Sehnlichst erwartet er den Tag, an dem es ihm erlaubt ist, seinen ersten Drink zu ordern. Bis dahin glorifiziert er jedes Detail, das aus diesem dunklen, von Zigarettenrauch geschwängertem Utopia nach außen und zu ihm dringt. Bis es dann tatsächlich so weit ist, und J.R. endlich Teil der Gesellschaft im "Publicans" wird.

Moehringer erzählt in diesem, stark autobiografisch-geprägten Roman nicht nur von der träumerischen Liebeserklärung an eine fast schon mythologisch verklärte Bar, sondern auch davon, was es für einen Jungen bedeuten kann, ohne Vater aufzuwachsen. J.R. wird älter, verlässt Manhasset, verliebt sich, kehrt zurück, geht nach Yale, und doch bleibt er stets ein Teil der Bar - und umgekehrt. Es ist eine Geschichte über Verlust, über Familie, das Erwachsenwerden und - ganz nebenbei - über einen Jungen aus ärmlichen und zerrütteten Verhältnissen, der es bis in die Redaktion der altehrwürdigen New York Times schafft. 

"Tender Bar" ist eines dieser Bücher, die einen nie fesseln, und doch nicht mehr loslassen, bis man sie ausgelesen hat. Die Tatsache jedoch, dass man den biografischen Bezug nie so ganz ausblenden kann, lässt den Pulitzer-Preisträger Moehringer an einigen Stellen ganz natürlich ein wenig selbstgerecht wirken, was wahrscheinlich auch der Grund ist, warum dieser die Gattung des Romans für seine Jugendmemoiren gewählt hat. Insgesamt bleibt "Tender Bar" jedoch, den wenigen American-Dream-Ausdünstungen zum Trotz, eine schöne und liebevolle Coming-Of-Age-Geschichte, deren sympathische Atmosphäre den Leser für einige Zeit begleitet und Lust macht, sich endlich mal wieder in einer dieser klassischen, verrauchten Kneipen an den Tresen zu setzen, sich volllaufen zu lassen und die ganze Welt zu zerreden.

Note: 2,4
  • Humor: 2
  • Anspruch: 2
  • Spannung: 3
  • Erotik: 3
  • Piratenfaktor: 2