Genre: Gegenwartsliteratur
Sternliegen nennt man es bei Herdentieren, die ihre 
Ruhephasen im Kreis liegend verbringen - so schützen sie die Herde, 
können die Umgebung in alle Richtungen beobachten und bei Gefahr 
rechtzeitig die Flucht ergreifen. Im menschlichen Kampf ist es eine Verteidigungshaltung
 in meist aussichtsloser Lage und bei übermächtigem Gegner, Rettung ist 
hier nur von außen möglich und ohne diese stehen Resignation, 
Mutlosigkeit und Aufgabe bevor. 
 Beides - Schutz und Aufmerksamkeit, Kampf und Verteidigung - liegt dem 
zugrunde, was die Geschwister Ella und Thomas in der DDR der 50er Jahre 
tun: sie versuchen ihr Leben Rücken an Rücken zu 
meistern. Sie wachsen ohne Nähe und Liebe im Künstlerhaushalt ihrer 
Mutter Käthe auf, die sich als jüdisch-stämmige und deshalb in der 
Nazizeit von der Kunstakademie ausgeschlossene und vertriebene 
Bildhauerin voll und ganz dem Sozialismus verschrieben hat. 
Zur Familie 
gehören eigentlich noch die Zwillinge, die aber noch zu klein, um sich 
wie Ella und Thomas während der längeren Abwesenheiten Käthes selbst zu 
versorgen, im Heim oder bei wechselnden Pflegefamilien aufwachsen. Ella 
und Thomas verpflegen sich selbst, putzen das Haus, räumen auf, kochen 
die Lieblingssuppe der Mutter in freudiger Erwartung deren Wiederkehr 
und in der Hoffnung, ein wenig Aufmerksamkeit oder gar Liebe von ihr 
geschenkt zu bekommen. Doch sie haben vergessen, dass ihnen Käthe 
aufgetragen hatte, die leeren Flaschen auf der Treppe wegzubringen ... 
Ella und Thomas sind elf, bzw. zwölf Jahre alt, als die Geschichte 
einsetzt. Sie endet kurz nach dem Mauerbau, 1962 mit einem Paukenschlag.
 Sie sind schutzlos dem System und den damit verbundenen Übergriffen aus
 den verschiedensten Richtungen ausgeliefert. Die linientreue und 
überzeugte Sozialistin Käthe kann sich noch nicht einmal vorstellen, 
dass es solche Übergriffe überhaupt geben kann. Sinnlos, ihr davon zu 
erzählen. Einzig die Geschwister teilen ihr Wissen - mal direkt, mal 
intuitiv. 
Während Ella mit Phasen von Krankheit und immer wieder 
aufloderndem Trotz , Widerstand und Aufbegehren darauf reagiert, zieht 
sich Thomas immer mehr zurück, auch von seiner Schwester. Es zieht ihn 
hin zu Marie, die selbst an den Umständen zu zerbrechen droht. 
Julia Franck hat sich in Rücken an Rücken wohl wieder an eine 
ganz persönliche, familiäre Geschichte gewagt. Die Sprache gewohnt kühl,
 distanziert und ausgefeilt. Der Stil typisch der ihre. Die Fähigkeit, 
Personen und Geschehnisse ohne Wertung lebendig werden zu lassen auf 
höchstes Niveau gebracht. 
Und doch erscheint Rücken an Rücken nicht so stimmig, wie Die Mittagsfrau.
 Es mag daran liegen, dass sie sich immer wieder der Gedichte ihres 
eigenen Onkels, der augenscheinlich die Vorlage für die Figur des Thomas
 war, bedient, um die Gefühlslage des jungen Mannes zu illustrieren. Im 
Verlauf des Romans häufen sich die Zitate immer mehr, was mit der Zeit 
redundant wirkt und einen recht manirierten Eindruck hinterlässt. 
 Die Figur der Ella ist es, die leuchtender und stärker erscheint, mehr 
erduldet, ohne daran zu zerbrechen und trotzig nach vorne blickt und 
somit dem Roman wieder Leben einhaucht. Sie sucht sich ihre Fluchten in 
ihrer unsteten Kreativität, die ihr eine unglaubliche Stärke verleiht. 
Käthes Gründe für die ablehnend zu nennende Haltung ihren vier Kindern 
gegenüber bleiben nebulös. An dieser Stelle gibt es keine Möglichkeit zu
 Verständnis oder Empathie, aber auch keine Wertung oder Vorwürfe. 
 Leser, die mit Julia Francks Mittagsfrau nicht warm wurden, werden es 
hier noch schwerer haben. Leser, die ihre Kindheit und Jugend in der DDR
 erlebt haben, werden sich vielleicht wiederfinden. Lesern, die dieses 
System nicht selbst erlebt haben, wird ein kühler fragmentarischer 
Einblick gewährt, der Fragen ob der möglichen Authentizität der 
Vorkommnisse aufwirft. Ob diese geklärt werden können, liegt am eigenen 
Interesse, sich über Zeit und System weiter zu informieren.
Rücken an Rücken ist weder ein schönes noch ein leichtes Buch, aber eines das lange nachhallt und sich intensiv ins Lesegedächtnis gräbt.
Note: 2,66
- Humor: -
 - Anspruch: 2
 - Spannung: 3
 - Erotik: -
 - Piratenfaktor: 3
 

Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen