Samstag, 15. Dezember 2012

Michael Chabon - Schurken der Landstrasse

Genre: hist. Roman
Gebunden: 192 Seiten
Erscheinungstermin:20. April 2010
ISBN: 9783462041897

Ein Schurkenstreich, der seines gleichen sucht 

Landstraßen waren gefährlich im 10. Jahrhundert. Egal, ob man sich im fränkischen Reich befand oder auf dem Weg nach Chasarien unterwegs war. Sowohl Zelikman, der bleiche, dünne, blonde Jude fränkischer Herkunft mit einem Hang zu Schwermut und einer ungewissen Sehnsucht nach seiner alten Heimat, als auch Amram der riesige Afrikaner, in Ehren ergrauter aber immer noch mit seiner mächtigen Axt behände umgehender Soldat, wissen das, als sie in einer Karawanserei erstmals aufeinander treffen. Vermeintlich zum ersten, sicher aber nicht zum letzten Mal …

Ihr weiterer Weg wird die beiden mit einer kostbaren, weil menschlichen, Fracht nach Itil, dem Sitz des Beks, dem Herrscher der Chasaren, führen. Nicht ganz freiwillig, denn der in ihre Obhut gelangte junge Mann namens Filaq vermag sich ihres Schutzes immer wieder zu entziehen. Er hat sich zur Aufgabe gestellt, den derzeit herrschenden Bek, der Filaqs ganze Familie ermorden ließ, um an die Macht zu kommen, eigenhändig zu meucheln.

Zelikman und Amram – erprobte und kluge Kämpfer – versuchen Filaq diese fixe Idee auszutreiben, müssen sich aber ob der Sprachgewandtheit, Chuzpe und Motivationsgabe des jungen Mannes geschlagen geben und die Zwangsgemeinschaft geht ihren Weg …

Michael Chabons erste Abenteuergeschichte kann sich mit Fug und Recht eine solche nennen.

Dienstag, 27. November 2012

Marco Balzano - Damals, am Meer

Marco Balzano - Damals, am Meer
Genre: Gegenwartsliteratur
Gebunden: 224 Seiten
Erscheinungstermin:Juni 2011
ISBN: 978-3-88897-726-8

Drei Männer, eine Reise zum selben Ort und doch jeweils an einen anderen. Ans Meer fahren sie, nicht um Urlaub zu machen, sondern um ein letztes Mal in die Heimat zurückzukommen, die dortige Wohnung zu verkaufen, den Ort der unbeschwerten Ferien wiederzusehen.

Drei Männer - drei Gründe.
Großvater Leonardo, in Apulien geboren, will noch einmal in die Heimat, seine alten Freunde sehen - die die noch übrig sind - und Abschied nehmen. Sein Sohn Ricardo begleitet ihn, um den letzten Anker in der gemeinsamen Heimat zu lichten. Der Enkel Nicola fährt mit, um vielleicht noch zu verhindern, dass dies geschieht und um sich wieder in die Tage der Ferien am Meer, die Tage der Freiheit, zu träumen.

Nicolas Familie stammt aus Barletta und ist, als sein Vater noch sehr jung war, in den Norden gezogen. Nach Mailand. Weg vom Meer - in die Großstadt. Zumindest für Großmutter Anna war die Wohnung am Meer immer die Hoffnung, einst zurückzukehren. Doch die Jahre vergehen, die Wohnung wird dem Verfall preisgegeben und keines der vier Kinder Leonardos und Annas kümmert sich darum. Die Wurzeln, die einst so stark waren, sind gekappt und die Erlebnisse und Erinnerungen nicht stark genug, um die zweite Generation wieder in ihre Heimat zu bringen. Mailand wird die neue Heimat. Für die Enkelgeneration kein größeres Problem, verstehen sie den barlettischen Dialekt - die Muttersprache Leonardos - zwar noch, sprechen diesen aber selbst nicht mehr und sind schon aufgrund dessen für die in Barletta Gebliebenen sofort als Fremde erkennbar. Barletta ist nicht länger Heimat, sondern Urlaubsort.


Sonntag, 25. November 2012

Dr. Seuss - Der Lorax

Genre: Kinderbuch
Gebundene Ausgabe: 73 Seiten
Erscheinungstermin: 08. Juni 2012
ISBN:  978-3888977596

Fragt man sich, als Erwachsener, was ein Kinderbuch denn eigentlich im besten Falle enthalten sollte, möchte ich wetten, dass das Gros der Eltern antworten würde, man erhoffe sich eine liebevolle, unterhaltsame, sicherlich auch spannende, vor allem jedoch harmlose Geschichte.

Theodor Seuss Geisel, alias Dr. Seuss, dessen Kinderbücher hierzulande eher durch ihre Kinoadaptionen, wie "Der Grinch", "Horton hört ein Hu!" oder eben "Der Lorax" einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangten, hat in den U.S.A. längst Kult- bzw. Legendenstatus, zählt er doch zu den meistgelesenen Kinderbuchautoren der englischsprachigen Welt. 

Dr. Seuss verfolgte, was die vermeintliche Beiläufigkeit von Kindergeschichten betrifft, offensichtlich eine ganz andere Strategie - außerdem schien dem Autor, der noch dazu ein begnadeter Cartoonist war, bereits 1971 klar gewesen zu sein, dass der wahrscheinlich klügste Weg in eine bessere Zukunft direkt über die Menschen führt, die eben diese Zukunft bevölkern werden, unsere Kinder.

Samstag, 24. November 2012

Carlos Ruiz Zafón - Der Gefangene des Himmels

Genre: Gegenwartsliteratur
Gebundene Ausgabe: 403 Seiten
Verlag: Fischer Verlage
Erscheinungstermin: 25. Oktober 2012
ISBN: 978-3-10-095402-2


Er hat es also gewagt: Für den Fortsetzungsroman seines Zyklus um den "Friedhof der vergessenen Bücher" hat sich Bestsellergarant Carlos Ruiz Zafón an der direkten Weitererzählung seines Smashhits "Der Schatten des Windes" versucht. Zugegeben, als diese Information durchsickerte, bekam ich ein ziemlich flaues Gefühl in der Magengegend, zählt der Roman doch zu meinen absoluten Lieblingen, und Fortsetzungen sind nun wirklich nicht immer ein Segen - das lehrt sowohl die Literatur- wie auch die Filmgeschichte. "Der Schatten des Windes", seiner Zeit der Auftakt zu Ruiz Zafóns düsterer Saga um die katalonische Hauptstadt Barcelona im letzten Jahrhundert, die Wirren, die Leiden und die Geheimnisse einer vom Krieg zerrütteten Metropole, war nicht ohne Grund ein absoluter Welterfolg. Die Gefahr nun, mit "Der Gefangene des Himmels", am eigenen Denkmal zu sägen, ist dementsprechend groß. Wie dem auch sei, nach "Der Schatten des Windes" und "Das Spiel des Engels" macht sich Ruiz Zafón also auf, seine, auf vier Teile angelegte Geschichte von Dunkelheit, Liebe und Gewalt weiterzuerzählen. 

Freitag, 23. November 2012

Paul Murray - Skippy stirbt!

Genre: Gegenwartsliteratur
Broschur im Schuber: 3 Bände, 782 Seiten
Verlag: Antje Kunstmann Verlag
Erscheinungstermin:10. Januar 2011
ISBN: 978-3-88897-700-8

"... Vielleicht bestehen die Dinge ja nicht aus Strings, sondern aus Geschichten, einer Unzahl winziger, vibrierender Geschichten, einst waren sie alle Teil einer großen, gigantischen Supergeschichte, bloß dass die in eine Zillion verschiedener Teile zerbrochen ist, deswegen ergibt keine Geschichte für sich einen Sinn, und deswegen musst du in deinem Leben versuchen, sie wieder zusammenzuweben, meine Geschichte in deine Geschichte, unsere Geschichten in die all der anderen Menschen, die wir kennen, bis du was hast, was für Gott oder sonst wen wie ein Buchstabe aussieht, oder sogar wie ein ganzes Wort ..." (Ghostland, Seite 773)

Genau das ist es, was Paul Murray in Skippy stirbt! macht: er webt Geschichten zu einer einzigen Supergeschichte. Ob diese für irgendwen einen Buchstaben oder Wort ergibt, das kommt darauf an, wie weit man sich als Leser darauf einlässt. Ich habe mich darauf eingelassen - zugegeben nach anfänglichen Zweifeln - und für mich ergab das Ganze mehr als nur einen Buchstaben.
Bevölkert werden die drei Bände - Hopeland, Heartland, Ghostland - von den unterschiedlichsten Personen. Hier findet sich alles. Vom ehemaligen Seabrook Rugbychampion, der durch einen Unfall seiner Karriere beraubt, jetzt in seiner alten Schule Lehrer und Schwimmtrainer ist, bis zu Ruprecht van Doren, Skippys  Zimmergenossen und übergewichtigen Freund, Mathematikass, genial, nach fremdem Leben im All suchend. Eins haben alle gemeinsam: Sprachlosigkeit und die damit einhergehende Unfähigkeit zur tiefer gehenden Kommunikation. Von pubertierenden Jungs kann man eine solche Fähigkeit nicht verlangen, sie sind zu sehr mit sich selbst und den Veränderungen in ihrem Umfeld beschäftigt. Noch dazu, wenn sie damit durch die offensichtlich komplett überforderten, nur vermeintlich erwachsenen Menschen um sie herum alleine gelassen werden. Ohne Ausnahme hat hier jeder sein Päckchen zu tragen.

Donnerstag, 22. November 2012

Stephen R. Donaldson - Der Schritt in den Konflikt: Die wahre Geschichte


Stephen R. Donaldson - Der Schritt in den Konflikt: Die wahre Geschichte
Genre: Science Fiction
Taschenbuch: 210 Seiten
Verlag: Heyne
Erscheinungsdatum: 1996
ISBN: 978-3453109384

 Wagner im All

Was haben Richard Wagner und Angus Thermopyle gemeinsam? Der eine ist laut Stephen Donaldson das "Geläufige", beim anderen handelt es sich um das "Exotische". Nur beides zusammen ergibt die für einen guten Roman unverzichtbare Mischung.

Für Donaldson ist Angus das Geläufige und lange lag sein Roman "Die wahre Geschichte" unveröffentlicht in des Autors Tresor, so sehr - ja - schämte sich Donaldson um seine Arbeit. Erst mit der Komponente des Exotischen konnte er seine Arbeit beenden und dies ist Richards Wagner Ring der Nibelungen. Der geneigte Leser möchte sich bitte nicht jetzt mit Grausen abwenden, sich an alle Wagnerschen Schandtaten und antisemitistischen Verknüpfungen erinnernd. So wird ihm eines der wichtigsten SF-Zyklen entgehen die in jüngerer Zeit geschrieben wurden. Und Donaldson bedient sich auch "nur" der eigentlichen Geschichte der Saga und nicht der pompösen und lauten Musik.

Allein pompös ist sein Amnion-Zyklus schon geworden, ganze 3500 Seiten im Deutschen sind es geworden.
Sein erster Roman "The Gap into Conflict" im Original, bringt es auf schlappe 214 Seiten und ist die Ouvertüre zu den folgenden Bänden. Doch schon hier ist die Kunst von Donaldson zu spüren, seine Art und Weise mikroscharf die Gedanken, Gefühle jedes Einzelnen schmerzlich dem Leser näherzubringen.
Aber auch seine famose Weise, die schriftstellerischen Physikmuskeln spielen zu lassen und uns realistisch ins Weltall zu entführen.

Schmerzlich sind die erlebten Gefühle unserer drei Helden Angus Thermpyle, Morn Hyland und Nick Succorso insofern, dass alle drei höchst bedenklich agieren und vollkommen unsympathisch wirken.
Nicht alleine die Namen geraten exotisch, Donaldson hat einen Hang zu extremen Charakteren die sich hier niederschlägt. Er bringt uns ihre Gründe, so und nicht anders zu reagieren, in diesem kosmischen Kammerspiel detailliert nahe. Das macht ihre Handlungen logisch, aber trotzdem unvorhersehbar und schafft eine innere kurz vor dem Zerreißen stehende Spannung, gerade weil auch die Akteure in einer höchst kritischen Situation zueinander stehen. Teilweise entsteht ein Sog der einen nicht mehr loslässt.

Die ersten paar Seiten erzählt Donaldson uns die Geschichte, wie sie jeder erlebt hat und wie sie auch in der Zeitung gestanden hätte. Angus Thermopyle, seines Zeichens alleinhandelnder und lebender Pirat, erscheint in der Bar der Raumstation mit einer wunderschönen Frau, Morn Hyland, die dem hässlichen Angus, widernatürlich, anscheinend vollständig zu Willen ist. Nachdem beide Nick Succorso treffen kommt es zu verschiedenen Ereignissen, die dazu führen dass Morn bei Nick ist und Angus im Gefängnis.
So weit zusammengerafft die Story, Donaldson beschreibt was die Leute glauben und dann erst fängt er an, uns die "wahre Geschichte" zu erzählen und läßt dabei einzig Nicks Part aus, beschränkt sich hauptsächlich auf Angus und Morn. Wie Morn in Gefangenschaft gerät, Angus sie als seine sexuelle Sklavin benutzt und beide in eine starke Abhängigkeit zueinander geraten, ist ein zentrales Thema.

Dienstag, 6. November 2012

Wolfgang Herrndorf - Tschick


Wolfgang Herrndorf - Tschick
Genre: Gegenwartsliteratur
Hardcover: 256 Seiten
Verlag: Rowohlt Berlin
Erscheinungstermin: 17. September 2010
ISBN: 978-3-87134-710-8


Anfänglich schwer in dieses Buch reingekommen, weiß ich zum Schluss nicht wirklich wie ich es einordnen, was ich davon halten soll. Ein Roadmovie, in dem zwei Vierzehnjährige mit einem geklauten, kurzgeschlossenen Lada durch die Gegend fahren, dabei eintdecken, wie schön Freiheit und Freundschaft sind und wie schnell diese eine für sie so wichtige und wunderbare Woche vorrüber ist.

Maik Klingenberg lebt mit seinen Eltern in Berlin, der Vater verkauft Immobilien, die Mutter trinkt. Er selbst ist so sehr daran gewöhnt, dass es ihm nicht wirklich etwas auszumachen scheint. Selbst empfindet er sich vor allem als langweilig. Oberflächlich gesehen - die Familie wohnt im Eigenheim mit Pool - gehört er zu den "Gewinnern" - auch wenn er sich selbst keineswegs dafür hält..

Zu dieser Gruppe gehört Andrej Tschichatschow, genannt Tschick, nun schon gar nicht. Er wohnt in einem der Hochhäuser in Hellersdorf, erscheint des öfteren in der Schule offensichtlich stark alkoholisiert und ist ein ebensolcher Aussenseiter wie Maik.

Und genau das scheint es zu sein, was Tschick erkennt. Warum sonst sollte er mit dem geklauten Lada gerade bei Maik vor der Tür auftauchen und ihn auffordern, mit ihm auf Tour zu gehen. Maiks Eltern sind sowieso nicht zugegen - der Vater ist mit der "Assistentin" bei einem "Geschäftstermin", die Mutter auf der "Schönheitsfarm", sprich auf Entzug.
Und damit beginnt eine Tour, die allerhand Überraschungen und Erfahrungen mit sich bringt.

Sonntag, 4. November 2012

David Mitchell - Der Wolkenatlas

David Mitchell - Der Wolkenatlas
Genre: Gegenwartsliteratur
Broschiert: 672 Seiten
Verlag: Rowohlt
Erscheinungstermin: 01. November 2007
ISBN: 978-3-499-24036-2

Was lesen Sie am liebsten? Seefahrergeschichten? Historische Romane? Krimis? Humorvolle Gegenwartsliteratur? Düstere Dystopie? Oder sogar Fantasy, die darüber hinausgeht? Was wäre, wenn es ein Buch gäbe, das den Versuch unternehmen würde, all diese - uns zu Genüge bekannten - Genres des Literaturbetriebs miteinander zu verweben?

David Mitchell unternimmt genau diesen Versuch, indem er sechs scheinbare Einzelschicksale über einen Zeitraum von mehreren hundert Jahren miteinander verknüpft: Das Tagebuch eines Schiffsreisenden, die Briefe eines jungen, verlorenen Komponisten an einen Freund, die Geschichte einer Journalistin, verfasst im Stile eines Kriminalromans, die amüsante Odyssee eines in die Jahre gekommenen Verlegers, der auf der Flucht, unabsichtlich in die Fänge einer Vorhölle von Altenheim gerät, das Verhörprotokoll eines rebellierenden Klonmädchens und eine Lagerfeuererzählung aus einer martialischen, postapokalyptischen Welt. Das klingt verrückt und zusammenhangslos? Das ist es keineswegs. Eine Verbindung besteht immer. Sechs Geschichten: jede anders geschrieben, jede auf ihre Weise mitreißend, jede miteinander verbunden.

Samstag, 20. Oktober 2012

Jonas Winner - Der Architekt

Genre: Psychothriller
Gebundene Ausgabe: 379 Seiten 
Verlag: Knaur
Erscheinungsdatum: 1. Oktober 2010
ISBN: 978-3-426-51275-3

Ein überaus angesehener Architekt hat angeblich, seine Frau und seine zwei Kinder, auf blutige Weise ermordet. Dieses Ereignis weckt in dem mäßig erfolgreichen Drehbuchautor, Ben Lindenberger, die Inspiration und die Leidenschaft für einen eventuellen Neuanfang. Mit vollem Elan und Tatendrang startet er in sein neues Projekt, dass nur in Zusammenarbeit mit dem in Untersuchungshaft sitzenden Architekten, Julian Götz, fruchten kann. Allerdings scheint Ben einige Situationen zu unterschätzen, denn plötzlich ist er in Gegebenheiten verstrickt, die so gar nicht zu Ben und seinem Vorhaben passen.

Der Debütroman von Jonas Winner, “Davids letzter Film”, konnte mich nicht wirklich überzeugen, obwohl die Idee sehr interessant war, die Umsätzung aber leider nicht. Daher war ich bei seinem zweiten Buch etwas skeptisch, was zu Beginn des Thrillers auch berechtigt war. Erst die zweite Hälfte, beziehungsweise das letzte Drittel, kann mit relativ gut durchdachten Handlungssträngen trumpfen. Wenn auch ab und zu gewisse Teile die Spannung dämpfen oder den Lesefluss schmälern.

Freitag, 5. Oktober 2012

Robert Frost - Promises to keep: Poems. Gedichte


Robert Frost - Promises to keep: Poems. Gedichte
Genre: Lyrik
Broschierte Ausgabe: 160 Seiten
Verlag: C.H. Beck
Erscheinungsdatum: 19. September 2011
ISBN: 978-3-406-62777-4



Einen Gedichtband rezensieren? Hm. Ich will ehrlich mit Euch sein: Es ist nicht einfach für mich, am Abend in meinem Bett zu liegen und Gedichte zu lesen, ohne dabei einzuschlafen. Versteht mich nicht falsch, ich bin kein Banause, der stets den leichten Weg bevorzugt und die Interpretationsaufgabe der Abiturprüfung verschmäht hat, aber es fällt mir wesentlich schwerer, einen Zugang zu Lyrik zu bekommen, als zu einem Roman. Ich hielt es eigentlich mit den Gedichten wie mit Galerien oder dem Theater: Ich respektiere sie, finde sie bewundernswert und gehe nicht hin. Mal davon abgesehen, dass so viele Wichtigtuer dort sind. Oft empfinde ich eine zu große Demut, eine Unzulänglichkeit, gegenüber dieser hohen Kunst, die mir das Gefühl gibt, ihr partout nicht gerecht werden zu können. Und, wie gesagt, es tummeln sich zu viele Wichtigtuer.  

Doch selbst wenn meine Welt sonst von Romanen geprägt ist, bin ich mir der Tatsache bewusst, dass man nie auf einem Auge blind sein sollte - gerade, wenn die Gefahr besteht, etwas Großartiges zu versäumen. Jemandem nun einen Gedichtband von Robert Frost zu empfehlen, ist, als wollte man einen Menschen von den Zeitnehmer-Qualitäten einer Uhr überzeugen - schließlich ist Frost einer der bedeutendsten Lyriker der letzten hundert Jahre. Ich weiß nicht mehr, auf wie vielen ersten Seiten, und wie vielen Filmen ich Robert Frost schon begegnet bin, bevor ich mir tatsächlich seine Gedichte zu Gemüte geführt habe.

Sonntag, 23. September 2012

Hjorth & Rosenfeldt - Die Frauen, die er kannte

Genre: Krimi
Gebundene Ausgabe: 726 Seiten 
Verlag: Rowohlt Polaris
Erscheinungsdatum: August 2012
ISBN: 978-386252206

Dem Profiler und Psychologen, Sebastian Bergman, plagt zu Beginn des Romans die Langeweile und über die ganze Geschichte Trauer. Diese versucht der promiskuitive Protagonist, mit ständig wechselnden Liebschaften zu umgehen und stalkt desweiteren noch seine Tochter, die aber nicht weiß, dass Sebastian ihr Vater ist.
 

Sebastian würde gern wieder, wie früher, mit der Polizei zusammen arbeitet. Doch aufgrund seines miesen Charakters will ihn dort nicht wirklich jemand sehen. Dann geschehen wiederholt Morde, nach immer dem gleichen Prinzip und wie es scheint, kann nur der Kriminalpsychologe diese Herausforderung meistern. Allerdings, erreicht das Geschehen, eine Tragweite mit der Sebastian und andere Charaktere nicht gerechnet hätten...

Da ein Kriminalpsychologe der Hauptprotagonist des Romans ist, bin ich davon ausgegangen, dass man eben auch im Buch einiges über Psychologie erfährt. Zumal auch durch unterschiedlichen Quellen, auf einen Psychologischen Touch hingewiesen wurde. Doch weit gefehlt, nur in kurzen Schüben kommt das Thema Psychologie zum Vorschein, was mich sehr enttäuscht hat.
 

Die ersten zweihundert Seiten kann man gänzlich vernachlässigen oder der Teil hätte gekürzt werden sollen. Denn hier werden die Person zwar ansehnlich dargelegt, jedoch zum Großteil mit vollkommen sinnlosen Passagen die nicht direkt etwas mit der Geschichte zu tun haben oder irgend einen erkennbaren Einfluss auf diese ausüben. Den ersten Band habe ich nicht gelesen (nach dem lesen des vorliegenden Bandes, habe ich es auch nicht vor), dennoch denke ich wird gerade während der ersten zweihundert Seiten, der erste Teil immer wieder reflektiert. Diese Tatsache ist zwar sehr angenehm, da man so das Buch trotzdem durchackern kann, aber mir sind es ein wenig zu viel Reminiszenzen die nicht unbedingt notwendig sind.

Dienstag, 18. September 2012

Leif Randt - Schimmernder Dunst über CobyCounty

Leif Randt - Schimmernder Dunst über CobyCounty
Genre: Gegenwartsliteratur
Gebundene Ausgabe: 191 Seiten 
Verlag: Berlin Verlag
Erscheinungsdatum: 6. August 2011
ISBN: 978-3827010278


Eine fiktive Stadt irgendwo im nirgendwo, in der alles formvollendet und schön ist und die Bewohner Spaß haben am treiben in CobyCounty teilzunehmen. Wim ist einer dieser Bewohner, und dennoch recht melancholisch gestimmt, der mit seinem besten Freund Wesley das pulsierende Leben in der Schönwetterstadt genießt und auf den Frühling wartet. Doch Wim weiß nicht so recht ob er diese Art zu leben auch wirklich will, ob ihn dieser möglicherweise hedonistische Lebensstil behagt. Fortan versucht Wim herauszufinden, welche Möglichkeiten die Existenz in einer solchen Welt noch für ihn offenbart.


Man findet sehr schnell in das Buch hinnein. Manchmal tauchen aber Sätze auf bei denen man nicht genau weiß, ob man sie richtig verstanden hat. Das vorwiegend wohl auch daran liegt, dass der Autor gerne mal ein paar Oxymorone einbaut und man erstmal etwas stutzt. Doch genau solche Mittel tragen zum fulminanten Schreibstil bei. Leif Randt schafft es eine ganz eigene Stimmung aufzubauen, der den Leser in die Gefühlswelt von CobyCounty einlullt, und auf die Story kommt es dabei gar nicht an. Zum Beispiel hat so gut wie jeder Satz am Ende eines jeden Kapitels, einen gewissen Charakter, eine gewisse Kraft in der Schriftsprache, die ich gar nicht zu beschreiben vermag.
Allerdings musste ich bei dem Buch oft an Musik denken. Viele Stücke bei denen die Stille nach dem letzten Ton einsätzt, hat man dieses Gefühl der Vollkommenheit, dass die Musik erst so richtig interessant macht. Solch ein Gefühl stellt sich auch im Text ein. Manchmal musste ich auch an Synkopen denken, doch das wäre jetzt zu weit hergeholt.
Ausserdem sind viele Sätze kurz gehalten, das für mich auf irgend eine Weise an der Form eines Tagebuchs erinnert.


Die Stadt CobyCounty ist Fiktion und man erfährt auch nicht in welcher Region sie liegen könnte und in welcher Beziehung der Ort zu anderen Gebieten steht. Aber den Bewohnern geht es gut und alle sind bester Laune. Dabei erinnert mich CobyCounty etwas an Ogygia, dort wurde Odysseus von bestimmten Pflanzen betört und hat die Umgebung als unglaublich bezaubernd wahrgenommen (wenn ich das richtig in Erinnerung habe).

Nicht nur der Inhalt ist eine Wonne, auch das Design und die gestalterische und drucktechnische Umsetzung ist makellos und überzeugend. Gänzlich in weiß und silber gehalten, wobei das Silber in die Vertiefung der Prägung gedruckt wurde. Allein wegen dieses haptischen Genusses ist der Kauf des Buches, gerade für Sammler, wünschenswert. Eine weitere Finesse bietet das Papier an sich, denn das hat eine attraktive Eigenschaft, die irgendwie das Gefühl von Feuchtigkeit in den Fingern weckt.

Donnerstag, 6. September 2012

John Green - Das Schicksal ist ein mieser Verräter

John Green - Das Schicksal ist ein mieser Verräter
Genre: Jugendbuch, Gegenwartsliteratur
Gebundene Ausgabe: 288 Seiten 
Verlag: Hanser Verlag
Erscheinungsdatum: 30. Juli 2012
ISBN: 978-3-446-24009-4

Ich will ehrlich mit Euch sein, ich kann Bücher wie dieses eigentlich nicht leiden: ein Mädchen, ein Junge, eine tödliche Krankheit, ein wuseliger und gehypter Autor mit einer Affinität für soziale Netzwerke und das Ganze dann auch noch aus der Jugendbuchabteilung, nein. Außerdem finde ich den deutschen Titel "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" schon mehr als nur dämlich - wofür Autor und Werk jedoch natürlich nichts können. Der Originaltitel "The Fault In Our Stars", eine Anspielung auf Shakespeares Julius Cäsar ("Nicht durch die Schuld der Sterne, lieber Brutus, durch die eig'ne Schuld nur sind wir Schwächlinge.") ist eine deutlich bessere Wahl.

Und doch: Zu den wunderbarsten Dingen im Leben eines jeden Lesers gehört es zweifellos, überrascht zu werden. Dass ein Buch wirklich gut ist, zeigt sich vor allem dann, wenn die Geschichte einen mitreißt, berührt und unterhält, obwohl Klappentext und Handlung völlig uninteressant anmuteten, als man es im Buchladen in den Händen hielt. Und eben das ist hier der Fall.

Samstag, 25. August 2012

David Foster Wallace - Das hier ist Wasser / This Is Water

David Foster Wallace - Das hier ist Wasser / This Is Water
Genre: Sachbuch, Rede
Gebundene Ausgabe: 158 Seiten 
Verlag: kiwi
Erscheinungsdatum: 14. Mai 2012
ISBN: 978-3-462-04418-8

Wenn ich versuche, mich an die Abschlussfeiern in meinem Leben zu erinnern, schießen mir einige Dinge in den Kopf: Alkohol, Mädchen in tief ausgeschnittenen Kleidern, Discofox mit meiner Mutter und das unangenehme Gefühl, glänzende Lederschuhe tragen zu müssen. Woran ich mich jedoch nie erinnere, ist ein einziges Wort der vielen ermüdenden Abschlussreden, deren Zweck es doch eigentlich war, uns Absolventen für das Leben zu rüsten und zu motivieren.

Ich für meinen Teil bin den Verantwortlichen des Kenyon Colleges also mehr als dankbar, dass sie mir Abhilfe verschafft haben, indem sie den Starautoren und Literatur-Professor David Foster Wallace dazu brachten, die Abschlussrede für den 2005'er Jahrgang ihres Colleges zu halten. Kurz gesagt: David Foster Wallace hielt nicht nur die Abschlussrede, die ich hätte hören sollen, sondern die, die wir alle hätten hören sollen.

"Das hier ist Wasser", hier in der zweisprachigen Version aus dem Hause Kiepenheuer & Witsch, ist keine großspurige Sammlung von Floskeln, schwammigen Allegorien, Binsenweisheiten oder obligatorischen Aufforderungen zur Selbstbeweihräucherung, sondern ein unterhaltsames, ehrliches und vor allem überaus kluges Plädoyer für Demut, Empathie und Besonnenheit. Humorvoll und aufrichtig bereitet uns Wallace auf das Schlimmste von dem vor, was uns erwartet: auf uns selbst; auf unseren Umgang mit der Welt und der grauen Routine des Alltags. Es geht um Möglichkeiten und Entscheidungen und darum, wie wir die Dinge sehen, die uns umgeben; wie wir uns sehen - in einer Welt, deren Mittelpunkt nicht wir allein sind.

Eine großartige Rede, die es schafft, den Augenblick zu überdauern, in welchem man sie hört oder liest, die einen begleitet und noch Wochen später zum Nachdenken anregt. Das ist, worauf es bei einer Abschlussrede ankommt.

Note: 1,3
  • Humor: 2
  • Anspruch: 1
  • Spannung: /
  • Erotik: /
  • Piratenfaktor: 1

Dienstag, 21. August 2012

Christian Kracht - Faserland

Genre: Gegenwartsliteratur
Gebundene Ausgabe: 158 Seiten 
Verlag: dtv
Erscheinungsdatum: 7. Auflage Juni 2002
ISBN: 978-3423129824


Der Trip beginnt auf der Insel Sylt und geht quer durch Deutschland, über Hamburg, Frankfurt usw. bis nach Zürich. Auf dieser ziel- und planlosen Reise trifft der Held immer wieder alte Freunde und erfährt deshalb, gedanklich, eine Rückschau auf sein Leben und auch sonst durchlebt er einige Höhen und noch intensivere Tiefen. Dabei wird die Hauptperson, im zunehmenden Verlauf der Geschichte, immer mehr physisch und psychisch ein Wrack, was wohl zum Teil auch am Schlafmangel liegt.

Krachts Faserland gilt als der Auftakt zur Popliteratur. Mir ist allerdings nicht ganz klar was Popliteratur auszeichnet. Einige Parallelen konnte ich zu Leif Randt entdecken, denn beide Autoren benutzen zum Beispiel gerne die Wörter irgendwie, ziemlich und eigentlich. Der Grund, weshalb das Buch Faserland heißt, konnte ich leider nicht wirklich aufdecken. Meine Überlegungen dazu, erscheinen mir eher oberflächlich.
Die Narration wird von einem namenlosen, nihilistischen Protagonisten wiedergegeben. Der Namenlose ist etwas sadistisch, redet nicht sehr viel, denkt aber um so mehr. Dabei immer auf eine pessimistische Art, er nörgelt in Gedanken ständig über seine Umgebung. Desweiteren hat er Schwierigkeiten anderen Personen zuzuhören, da er immer wieder durch Gerüche oder dergleichen abgelenkt wird und in diesem Moment, an sein bisheriges Leben denkt. Auf seiner Reise trifft die Hauptfigur stetig auf den widerlichen Hedonismus, der sich zu dieser Zeit in Deutschland entfaltet und immer noch allgegenwärtig ist. Der hedonistische Lebensstil der anderen, ist dem Held überaus unangenehm, und er versucht dem zu entfliehen. Doch gelingt es ihm nicht, im Gegenteil, mit jedem Kapitel nehmen die Wirren des (seines) Lebens zu, und er fragt sich ob es denn überhaupt noch einen Sinn gibt. Zumal er sowieso ziemlich planlos durch die Gegend treibt, vielmehr mitgerissen wird. Dabei fragt man sich, ob der Namenlose einfach nur in einer Adoleszenzphase feststeckt, eine Midlife-Krise durchlebt, oder schlicht unter einer Depression leidet. Andererseits hat er einen überaus scharfsinnigen und kritischen Blick auf die Gesellschaft, obgleich ihn diese Gedankengänge womöglich seelisch zerstören.

Jene acht Kapitel, auf 158 Seiten, machen richtig Spaß. Was auch am hervorragenden Schreibstil liegt, der zum Teil auf verschrobener Art romantische Nuancen annimmt. Dennoch begibt man sich mit dem Protagonisten in eine Art Ritalin verseuchten Mainstream. Oberflächlich ist das Buch recht witzig, doch eigentlich voller Hass, dabei nicht selten äußerst poetisch und schonungslos.
Wenn man mal einen anderen gesellschaftskritischen Blickwinkel auf Deutschland ersucht, sollte man Krachts Faserland lesen. Irgendwie lässt das Buch, eigentlich ziemlich viel Raum für Spekulationen, besonders das Ende kann in vielerlei Hinsicht interpretiert werden.
Bedingungslos wunderbare Literatur.


Wenn ich dem Buch ein Musiktitel zuordnen sollte, würde ich “All Live But The Ending” von Circlesquare wählen, und nicht nur wegen den Lyrics. Der Song bauscht sich, genauso wie der Roman, zu einem Crescendo auf und endet dabei in Stille.



Note: 1,75
  • Humor: /
  • Anspruch: 2
  • Spannung: 2
  • Erotik: 2
  • Piratenfaktor: 1

Mittwoch, 8. August 2012

Jonathan Franzen - Freiheit

Genre: Gegenwartsliteratur
Gebundene Ausgabe: 736 Seiten 
Verlag: Rowohlt
Erscheinungsdatum: 6. Auflage 8. September 2010
ISBN: 978-3498021290

Im Grunde vermag ich nicht, diesen epochalen Familienroman, in ein paar kurzen Sätzen zusammen zu fassen, geschweige denn zu rezensieren. Das Buch ist so gewaltig, mit so vielen Spektren gesegnet, dass mir gewissermaßen die Spucke weg bleibt.

Die ganze Geschichte dreht sich im wesentlichen nur um Patty und Walter, die ein liebevolles und aufopferndes Ehepaar sind, aber dennoch gelegentlich etwas bedauernswert erscheinen. Walter ist von dem Zeitpunkt an, als er Patty das erste mal sah, prompt in sie verliebt. Wohingegen Patty sich über Jahre hinweg den Kopf zermartert, ob den Walter der richtige für ihr Leben ist. Später kommen dann noch Pattys und Walters Kinder hinzu, Joey und Jessica. Die Kinder spielen natürlich eine tragende Rolle im Buch.
Dann wäre da noch Richard, der beste Freund von Walter, der ohne böse Absicht mit daran beteiligt ist, die Familie etwas zu zerrütten.

An und für sich sind mir stellenweise langatmige Texte zuwider. Doch in dem empathischen Kontext des Buches, entwickeln die jeweiligen Passagen eine gewisse Plastizität. Da Franzen die vielen Charaktere bis ins kleinste Detail beschreibt, und dies auf eine Art die keine Langeweile zulässt. Dabei unterstützend ist, dass er nicht chronologisch schreibt, auch mal in der Zeit dermaßen weit zurückspringt, um eine Person anhand ihrer Kindheit besser zu erklären und bekannt zu machen. Auf diese Weise erfährt man auch etwas über die Geschichte und noch mehr über das Wesen des Menschen an sich. Dieses hin und her springen zwischen den Personen und/oder den überlegten Situationen, ist noch ein Garant für jenen literarischen Hochgenuss.
Mir ist unerklärlich wie scharfsinnig Franzen hier die Emotionen, die Gefühle und die Psyche des Menschen aufklamüsert und irgendwie mit ein leicht dahinschwebenden Melancholie wiedergibt und dazu noch alles mit gesellschaftskritischem Inhalt füllt. Das alles mit einer Eloquenz, wie ich sie bisher nur von Autoren wie David Foster Wallace, Jonathan Lethem oder Johann Safran Foer, kenne. Kein Wunder also, dass der Familienroman schon vor der Veröffentlichung für Furore und gespanntes warten, sorgte.


Dieser epische und dramatische Lesestoff ist wirklich ein Meisterwerk der Schreibkunst.

Wenn ich dem Buch ein Musiktitel zuordnen sollte, würde ich “Primavera” von Ludovico Einaudi wählen. Das Auf und Ab des Liedes, spiegelt die Gemüter und Zustände des Buches wieder.


Note: 1,5
  • Humor: /
  • Anspruch: 1
  • Spannung: 2
  • Erotik: 2
  • Piratenfaktor: 1 

Dienstag, 24. Juli 2012

Rezensenten gesucht!

Lieber Leser,
wir sind immer auf der Suche nach neuen Autoren für den Blog. Du würdest gern am Buchpiraten-Blog mitschreiben? Du glaubst, du hast das Zeug dazu? Finde es heraus und sende zwei deiner Rezensionen (eine positive/eine negative) an buchpiraten@aol.com.
 

Sonntag, 15. Juli 2012

Carlos Ruiz Zafón - Der Schatten des Windes

Genre: Gegenwartsliteratur, Kriminalroman 
Taschenbuch: 562 Seiten 
Verlag: Suhrkamp/Insel
Erscheinungsdatum: 29. August 2005
ISBN: 978-3-518-45800-6

Daniel Sempere wächst als Sohn eines Antiquars im düsteren und tristen Barcelona der Franco-Ära auf, das von den Schatten der Vergangenheit und der Gegenwart beherrscht wird. Während die kleine Buchhandlung des Vaters kaum genügend abwirft, um die Beiden am Leben zu erhalten, verblassen langsam die Erinnerungen an Daniels Mutter, die der Cholera erlag, als er noch ein kleiner Junge war. Es ist ein karges Leben, doch beide arrangieren sich mit dem, was sie haben.

Eines frühen Morgens begeben sich Vater und Sohn auf einen Ausflug durch die noch dunkle Stadt. Es ist der Tag, an dem der zehnjährige Daniel in die Welt des "Friedhofs der vergessenen Bücher" eingeführt wird. Hinter diesem, zugegebenermaßen etwas plakativen Namen verbergen sich die labyrinthhaften Räumlichkeiten einer uralten Gesellschaft von Antiquaren, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Bücher zu bewahren, deren Fortbestand gefährdet ist. Es ist Ritus, dass jeder, der den Friedhof zum ersten Mal betritt, ein Buch aus den dunklen und geheimnisvollen Regalen auswählt, um es sein Leben lang zu schützen, bis es seinen Weg zurückfindet. Etwas unbeholfen streift Daniel durch die düstere Szenerie und entscheidet sich schließlich für "Der Schatten des Windes", den Roman eines gewissen Julián Carax.

Gefesselt und begeistert von "Der Schatten des Windes", versucht der Junge mehr über den Autoren in Erfahrung zu bringen, und muss doch schnell feststellen, dass dies alles andere als einfach ist. Der Autor ist verschwunden, und mit ihm die meisten seiner Bücher. Noch dazu häufen sich Gerüchte, das irgendjemand die letzten Exemplare von Carax-Romanen aufkauft, um sie zu vernichten.

Als Daniel eines Nachts am Fenster der spartanischen Wohnung über der Buchhandlung steht und in die Straßen seiner Heimatstadt hinausblickt, bemerkt er einen Mann auf der anderen Straßenseite, der rauchend, in geheimnisvolle Schatten gehüllt, auch ihn beobachtet. Die Szenerie erscheint dem Jungen merkwürdig vertraut, ist sie doch fast deckungsgleich mit einer der Passagen aus "Der Schatten des Windes".

Während Daniel älter wird, dringt immer mehr Vergangenheit ans Licht und die Grenzen zwischen dem Leben eines Daniel Sempere und dem eines Julián Carax scheinen allmählich immer mehr zu verschwimmen.

Mit der "Schatten des Windes" hat der spanische Bestseller-Gigant Carlos Ruiz Záfon seinerzeit nicht nur den Sprung von der Jugendliteratur in die ebenso mystische und düstere Welt der vermeintlichen Erwachsenen geschafft, sondern gleichsam den erfolgreichsten spanischsprachigen Roman nach "Don Quijote" geschrieben. Nun wissen wir, dass nicht jeder Kassenschlager solcherlei überdimensionierter Lob-Arien auch verdient (Liebe Grüße an Stephenie Meyer und E.L. James), doch hier ist dies mehr als nur gerechtfertig. Ein großartiges Buch voller Tragik, Romantik, Mystik und Spannung, dem es zusätzlich nie an erzählerischem Witz, sowie der nötigen Ernsthaftigkeit mangelt, denn neben der ohnehin schon packenden Handlung um den jungen Sempere nähert sich Ruiz Zafón einer fast vergessenen Epoche der jüngeren spanischen Geschichte an, deren Aufarbeitung nicht immer einfach ist. Aufrichtig und unprätentiös erzählt er von einer Ära des Terrors, des Verdrängens und der Unsicherheit, die nach dem Spanischen Bürgerkrieg und während der Diktatur Francos herrschte. 

"Der Schatten des Windes" ist der erste Roman, der als Quadrologie angelegten Saga um den "Friedhof der vergessenen Bücher" ("Das Spiel des Engels" (2008), "Der Gefangene des Himmels" (2012)), was dem Alleinstellungsmerkmal des Romans jedoch keinen Abbruch tut. Ruiz Zafón setzt in diesem Meisterwerk der Gegenwartsliteratur nicht nur seiner geliebten Heimatstadt Barcelona ein literarisches, wenn auch düsteres und verzaubertes Denkmal, sondern auch sich selbst. Ein fantastisches Buch, das nahezu alles kann: Es vermag Krankheiten zu heilen, Tote wieder zum Leben zu erwecken, aber vor allem; uns ein herausragendes Lesevergnügen zu bereiten.

Note: 1,4
  • Humor: 2
  • Anspruch: 1
  • Spannung: 1
  • Erotik: 2
  • Piratenfaktor: 1 
       

Dienstag, 10. Juli 2012

Robert Williams - Luke und Jon

Genre: Coming-of-Age, Gegenwartsliteratur
Taschenbuch: 192 Seiten 
Verlag: Berliner Taschenbuch Verlag
Erscheinungsdatum: 06. November 2010
ISBN: 978-3833307034

Luke Redridge ist dreizehn und lebt mit seinen Eltern ein normales und beschauliches Leben im grauen und regnerischen Vorstadt-England unserer Zeit. Sicher, Luke ist nicht unbedingt ein Siegertyp in der Schule, aber er ist ein talentierter Maler und eckt kaum an, was ja auch schon was wert ist, in der rauen Welt der Schulhöfe. Sein Vater ist Spielzeugmacher und seine Mutter eine liebevolle Idealistin mit Stimmungsschwankungen. Das Leben geht in geregelten Bahnen.

All das ändert sich jedoch abrubt, als Lukes Mutter, bei der inzwischen eine bipolare Störung diagnostiziert wurde, bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt. Tief getroffen ziehen sich Vater und Sohn in ihre eigene Welt zurück, jeder für sich. Nach kurzer Zeit häufen sich bereits die unbezahlten Rechnungen. Am finanziellen Abgrund angekommen, bleibt Lukes Vater nichts anderes übrig, als das Haus der Familie zu verkaufen und sich mit dem Wenigen, das ihnen noch bleibt, ein neues Leben aufzubauen, irgendwo anders, irgendwo, wo es billiger ist.

Und so landen die Beiden in Duerdale, einem nebligen Kaff in der englischen Provinz. Das wenige Geld reicht hier jedoch, zwischen schroffen Hügeln und Mooren, für ein verwahrlostes und einsames Haus auf einem Berg, nahe der Stadt. Träge und beinahe gleichgültig fügen sich die beiden in ihr Schicksal und das neue Leben, das sie nie wollten - immer noch ohnmächtig ob des Verlustes ihrer Mutter und Ehefrau. Luke zieht sich in seine Bilder zurück, deren Motive er in der kargen Umgebung des Hauses findet, Lukes Vater Gerald bestreitet mühsam den Lebensunterhalt der beiden, indem er Holzspielzeug in seiner Werkstatt anfertigt - seine ständigen Begleiter bleiben jedoch eine Flasche Whiskey und die geistige Abwesenheit eines Trauernden.

Das triste Leben der beiden Außenseiter wäre vermutlich ewig so weiter gelaufen, wenn nicht, aus dem Nichts, auf einmal ein dürrer und merkwürdig gekleideter Junge vor der Tür gestanden hätte, der nervös drauflos plappert. Jon, der zittrige Gast, entpuppt sich als Nachbarsjunge, dessen Schicksal dem von Vater und Sohn nicht so fremd ist. Luke und Jon werden zu Gefährten, und als die Sommerferien enden und die Schule beginnt, schweißt der Alltag aus Hänseleien und Ausgrenzungen die Freunde immer mehr zusammen. Und gemeinsam finden sogar alle drei Sonderlinge, auch durch die Hilfe eines riesigen Holzpferdes, mühsam ihren Weg zurück ins Leben.

Wie bei vielen seiner Zeitgenossen neigen die Menschen auch bei Robert Williams dazu, laut und apathisch "Salinger" zu brüllen, handelt seine Geschichte "Luke und Jon" doch von den Empfindungen eines Teenagers, ohne dabei etwas mit Vampiren zu tun zu haben. Anders als beim Genre-Epos "Der Fänger im Roggen" jedoch geht es hier nicht nur um das Erwachsenwerden in einer kalten und unverständlichen Welt, sondern vielmehr um den Umgang mit Verlust, Tod und einem Weg aus der Trauer. Was tun wir, wenn die Welt auf einmal und ganz plötzlich anhält, während sie sich für alle anderen weiter zu drehen scheint? Dieser Frage nähert sich Williams behutsam und klug in "Luke und Jon" an, ohne, dass er dabei pathetisch oder platt wird.

Überhaupt: Luke Redridge ist kein Holden Caulfield. Beim Lesen dieses herrlichen Buches musste ich mich vielmehr immer wieder daran erinnern, dass der Protagonist erst dreizehn ist, denn seine Gedanken wirken auf mich wie die, eines Erwachsenen: Sie sind nicht rebellisch und besonders impulsiv, sondern hilflos und aufrichtig ob der Tragik seiner und unserer Welt, die sich trotz allem immer weiter drehen muss.

Ein ruhiges, ein vorsichtiges und ungeheuer ehrliches Buch über Verlust, Zusammenhalt, Freundschaft und ja, über das Erwachsenwerden. Lesenswert!

Note: 2
  • Humor: /
  • Anspruch: 2
  • Spannung: 3
  • Erotik: /
  • Piratenfaktor: 1 

Dienstag, 3. Juli 2012

Haruki Murakami - Wilde Schafsjagd

Taschenbuch: 320 Seiten 
Verlag: btb (Random House)
Erscheinungsdatum: 04. September 2006
ISBN: 978-3442734740

Das Gefühl, das ich nach dem Auslesen dieses Romans hatte, kommt dem einer Ausnüchterung bei lebendigem Leibe ziemlich nahe. Nun meine ich dies bei Weitem nicht so negativ, wie man es durchaus auffassen könnte - was ich vielmehr ausdrücken wollte, ist, dass einen die furiose und verwirrende Geschichte wie eine erschöpfte und leere Hülle zurücklässt, die sich eben noch im Rausch einer wilden Nacht befunden hat.

Den Plot dieser völlig abstrusen und namenlosen Odyssee auf weniger als 320 Seiten wiederzugeben, ist wohl das, was man ein Ding der Unmöglichkeit nennt. Und genau darum geht es in dieser Geschichte; um Unmöglichkeiten. Nur so viel sei gesagt: Murakamis namenloser Protagonist, der 29-jährige Chef einer Werbeagentur im Tokyo der späten 70'er Jahre, bekommt die Pistole auf die Brust gesetzt; eine ominöse Organisation beauftragt ihn damit, ein bestimmtes und außergewöhnliches Schaf zu finden, das auf einem Bild zusehen ist, welches er - unwissenderweise - in einem Werbeprospekt veröffentlich hat - andernfalls droht die Organisation, die Agentur und seine ganze Existenz zu zerschlagen.

Nun handelt es sich nicht einfach nur um eine besondere oder seltene Gattung des Tiers, sondern vielmehr um ein völlig einzigartiges und magisches Schaf, das nicht nur von einem Menschen Besitz ergreifen kann, sondern wahrscheinlich sogar ein Interesse daran zu haben scheint, die Geschicke Japans und möglicherweise der ganzen Welt zu beeinflussen und ins Chaos zu stürzen. Das Foto, welches den Protagonisten überhaupt erst in diese augenscheinlich ausweglose Situation gebracht hat, wurde ihm von einem Jugendfreund zugesandt - das ist die einzige Spur.

Und so bleibt dem Helden und seiner Freundin, einem Ohrenmodel und Callgirl mit übersinnlichen Fähigkeiten, nichts anderes übrig, als aufzubrechen. Einziges Indiz ist und bleibt der Poststempel auf dem Brief des Freundes, der die Tragödie erst verursachte. Ihre Schnitzeljagd führt sie in die verlassene und kühle Einöde Japans, eine andere Welt, voller skurriler Charaktere und unglaublicher Ereignisse.

Murakamis metaphorische und erwartungsgemäß gutgeschriebene Geschichte beschäftigt sich, wie wohl beim japanischen Bestsellerautor üblich, mit den Themen: Verlust, Ordnung und Zeit. Und auch wenn sie mir zeitweise wirklich den Boden unter den Füßen weggerissen hat, so überzeugte mich dieser Steppenwolf im Schafspelz niemals so ganz. Alles ist verhältnismäßig stringent und im Stile eines Detektivromans gehalten (selbst der Protagonist liest immer und immer wieder in den "Abenteuern des Sherlock Holmes"), doch der Funke will einfach niemals so richtig überspringen. Was mir gefehlt hat, waren echte und wilde Emotionen, schließlich ist die Lage prekär und die Ereignisse mehr als außergewöhnlich - Murakamis Protagonist jedoch, fügt sich voller Trübsal und fast teilnahmslos in sein Schicksal, was dann eher den Eindruck eines Wochenendausflugs, als den, eines wirklichen Abenteuers erweckt.

Note: 3
  • Humor: 3
  • Anspruch: 2
  • Spannung: 3
  • Erotik: 3
  • Piratenfaktor: 4