Freitag, 29. Juni 2012

Haruki Murakami - Der Elefant verschwindet

Haruki Murakami - Der Elefant verschwindet
Taschenbuch: 192 Seiten
Verlag: btb (Random House)
Erscheinungsdatum: 04. Mai 2009
ISBN: 978-3442739295

Können Sie vielleicht gerade nicht schlafen? Oder ist ihre Katze davongelaufen? Bekommen Sie öfters seltsame Telefonanrufe, oder fragen sich, warum Sie überhaupt Beziehungen zu anderen Menschen unterhalten? Misstrauen Sie öfters Ihrer Erinnerung? Haben Sie ein Faible für das Skurrile, Phantastische, oder schlicht das Unwahrscheinliche? Oder, um die Sache einmal abzukürzen - wollen Sie mal wieder richtig gute Geschichten lesen, bei denen das Einschalten des Hirns allerdings Grundvoraussetzung ist? Dann dürften Sie bei diesem Band bestens aufgehoben sein.

Ich habe diesen ein wenig herausfordernden Band zum ersten Mal vor ein paar Jahren gelesen, und bin erstaunt, wie neu er mir nun bei der zweiten Lektüre scheint. Doch das halte ich erstmal für ein Qualitätsmerkmal. In der Tat glaube ich, dass man mit einer einmaligen Lektüre diesen gehaltvollen Stories nicht gerecht wird. Man kann sich ihnen aber durchaus nähern. Sofern man gewillt ist, auch hinter die doppelten Böden und versteckten Falltüren zu schauen, heißt das.

Ein wenig lesen sich die hier versammelten 8 Geschichten wie ein Reigen. Denn gewisse Motive tauchen in allen Geschichten immer wieder auf, und ziehen sich wie hauchdünne, geheimnisvolle Fäden durch das Buch. Da wäre zum Beispiel die eingangs erwähnte, verschwundene Katze. Schlaflosigkeit, und verschwommene Erinnerungen, wären ein zweiter Punkt. Auch geheimnisvolle Telefonanrufe gibt es hier öfters. Begegnungen mit seltsamen Menschen sowieso, des weiteren weinende Frauen, verloren geglaubte Erinnerungen, traumgleiche Sequenzen - und mittendrin immer wieder Helden, die sich ihrer eigenen Rolle nicht ganz sicher sind. 

Das liest sich im ersten Anlauf bisweilen ein wenig skurril, ist bei näherem Hinsehen aber oft auch komisch - auf eine sehr verschrobene Art. Freunde von Monty Python, Douglas Adams oder Arto Paasilinna sind hier gar nicht mal so falsch. Auf ein Sperrfeuer an Schenkelklopfern darf man hingegen nicht hoffen; dafür ist sich Murakami mit Recht zu schade.

Für den erfahreneren Murakami-Leser bietet sich hier zudem die Möglichkeit, im Fundus seiner Ideenwerkstatt zu stöbern, und zu untersuchen, wie manche Ideen zu seinen großen Romanen entstanden sind. Die erste Geschichte beispielsweise wurde später zur Eingangssequenz des Buches "Mister Aufziehvogel".  Und die titelgebende Geschichte, "Der Elefant verschwindet", riecht von der Atmosphäre her ganz entschieden nach einem Film von David Lynch.

Das Buch ist für mich ein wahres Labyrinth, und immer wieder spannend. Für Murakami-Neulinge vielleicht weniger geeignet - aber eine wahre Oase für alle, die von den Hera Linds, Tommy Jauds und Daniel Glattauers dieser Welt von Herzen die Nase voll haben.

Note: 2
  • Humor: 3
  • Anspruch: 1
  • Spannung: 2
  • Erotik: /
  • Piratenfaktor: 2

Anmerkung zur Rezension von "Gaudí in Manhattan"

Wie einigen von Euch möglicherweise aufgefallen ist, haben sich ein paar Fehler in die Rezension von gestern Abend eingeschlichen. Ich bitte dies, vielmals zu entschuldigen. Die Aufregung und das Bier vor dem Anpfiff zum katastrophalen Halbfinale haben meine Aufmerksamkeit doch mehr abgelenkt, als ich dachte. Zumindest musste ich heute Morgen feststellen, dass da ein paar Akzente ihren Vokal gewechselt haben und der Autor selbstverständlich "Ruiz Zafón" mit Nachnamen heißt und nicht einfach nur "Zafón".

Alles ist ausgebessert. 

Alex

Donnerstag, 28. Juni 2012

Carlos Ruiz Zafón - Gaudí in Manhattan. Eine phantastische Erzählung

Gebundene Ausgabe: 56 Seiten 
Verlag: Suhrkamp/Insel
Erscheinungsdatum: 09. März 2009
ISBN: 978-3458193180

Wer bisher schon einmal eines der Bücher des spanischen Hitgaranten Carlos Ruiz Zafón gelesen hat, der erahnt vermutlich bereits dessen Leidenschaft und Respekt für den katalanischen Architekten Antoni Gaudí und dessen Werke, prägen sie doch das düstere und neblige Stadtbild des Barcelonas, das Ruiz Zafón in seinen Romanen um den "Friedhof der vergessenen Bücher" ("Der Schatten des Windes", "Das Spiel des Engels") heraufbeschwört.

Der junge und bettelarme Architekturstudent Miranda erhält die Chance seines Lebens; ein gönnerischer Professor ermöglicht ihm nicht nur, sein Idol, den scheuen, etwas kauzigen und vor allem in die Jahre gekommenen Architekten Gaudí persönlich kennenzulernen, sondern sogar, diesem zu Diensten zu sein, denn der Maestro braucht einen Dolmetscher.

Trunken vor Glück und Aufregung macht sich Miranda auf in die Krypta der legendären Kathedrale Sagrada Família, die nicht nur zum Lebenswerk Gaudís, sondern unbestritten auch zu Dem Wahrzeichen der Hauptstadt Kataloniens avanciert ist. Als der Meister dem jungen Studenten unterbreitet, dass beide zu einer Reise nach Amerika aufbrechen würden, um sich dort mit dem Auftraggeber eines ominösen Projektes auf der Halbinsel Manhatten zu treffen, macht sich der junge Miranda keine Vorstellungen von den Mysterien, die dort auf Meister und Schüler warten. Doch für den Señor steht fest: "Ein Wolkenkratzer ist nichts weiter als eine Kathedrale für Leute, die statt an Gott ans Geld glauben."    

Die 56 Seiten starke Kurzgeschichte besticht, neben den zahlreichen und schönen Illustrationen der Kathedrale und deren Bauphase, natürlich durch die Kunstfertigkeiten Ruiz Zafóns, vor allem, wenn es darum geht, eine geheimnisvolle und abenteuerschwangere Atmosphäre zu schaffen. Was wir hier bekommen, ist eine Ehrerbietung an eben diesen Architekten, der eine der Leitfiguren im Leben des Schriftstellers Ruiz Zafón zu sein scheint - doch eben auch nicht mehr. 

Für eingefleischte Fans von Ruiz Zafón bietet "Gaudí in Manhatten" sicherlich die ideale Lektüre für einen Kurzstreckenflug nach Barcelona oder einfach nur für ein heißes Bad - Leser jedoch, die nicht unbedingt die Passion Ruiz Zafóns für den Architekten und dessen Schaffen teilen, dürften deutlich besser beraten sein, wenn sie sich entweder einen der bereits erwähnten Romane "Der Schatten des Windes" und "Das Spiel des Engels" zulegen oder aber bis Oktober warten; denn dann erscheint Ruiz Zafón's neuer Roman: "Der Gefangene des Himmels". Die wahre Magie Carlos Ruiz Zafóns entfaltet sich, für meine Begriffe, erst auf einer gebührenden Anzahl von Seiten.

Note: 3,00
  • Humor: /
  • Anspruch: 3
  • Spannung: 3
  • Erotik: 3
  • Piratenfaktor: 3
     



Dienstag, 26. Juni 2012

Stephen Fry - Der Sterne Tennisbälle

Taschenbuch: 400 Seiten 
Verlag: Aufbau Taschenbuch
Erscheinungsdatum: 19. September 2011
ISBN: 978-3746627489

Ned Maddstone lebt auf der Sonnenseite des Lebens: Er ist ein sportlicher, gutaussehender und noch dazu kluger Schüler einer ehrwürdigen englischen Schule und der Freund eines wunderschönen Mädchens. Nicht einmal die Tatsache, dass Maddstones Vater auch noch ein einflussreicher Politiker ist, lassen den Jungen mit der goldenen Zukunft arrogant oder unsympathisch werden. Er ist einer dieser Typen, denen alles gegeben wurde und noch dazu alles gelingt, ohne dass sie ihre freundliche und zuvorkommende Naivität verlieren. 

Und natürlich, so jemand hat Neider. Um auch dem Musterknaben mal einen Denkzettel zu verpassen, schmuggeln ihm drei vermeintliche Freunde ein Tütchen Marihuana in die Jackentasche, während Ned gerade in romantische Zweisamkeit und die Planung einer gemeinsamen Zukunft mit seiner Freundin vertieft ist.

Als die drei Freunde daraufhin Ned bei der Polizei anschwärzen und schadenfreudig dabei zu sehen, wie dieser kompromisslos und hart von den Behörden aufgegriffen und festgenommen wird, erahnen sie nicht einmal, was sie ihrem Freund damit angetan haben. Denn neben dem bisschen Gras, was vermutlich einige Peinlichkeiten und ein paar Stunden gemeinnützige Arbeit nach sich gezogen hätte, wird in Neds anderer Jackentasche ein Schreiben gefunden, das erheblich brisanter ist, vor allem für den leitenden Ermittler.

Während die drei verwunderten Verschwörer erste Zweifel beschleichen, wird Ned nicht etwa wieder auf freien Fuß gelassen, sondern verschwindet, benebelt von Drogen und unter falschem Namen, in den Zellen einer abgelegenen Irrenanstalt auf einem schottischen Eiland. Doch die Freunde, die beschlossen haben, niemandem von ihrem missratenen Streich zu erzählen, schweigen weiterhin - und so laufen alle Suchaktionen nach dem vermissten Goldjungen ins Leere. Maddstones Geschichte verliert mit der Zeit an Brisanz und gerät bald in Vergessenheit - selbst bei Maddstones großer Liebe, die inzwischen mit einem der Saboteure verheiratet ist.

18 Jahre später gelingt dem Insassen einer geschlossenen Nervenheilanstalt spektakulär die Flucht und ein gnadenloser Rachefeldzug beginnt.

Wer sich hier nun zurecht an Alexandre Dumas' Epos um Edmond Dàntes erinnert fühlt, ist alles andere als auf dem Holzweg. Das britische Multitalent Stephen Fry hat mit der "Der Sterne Tennisbälle" jedoch nicht nur eine große Hommage an den "Graf von Monte Christo" verfasst, sondern ein völlig eigenständiges, packendes und rund um begeisterndes Buch geschrieben, das nicht nur durch seinen Sarkasmus und seine grandiosen Dialoge zu unterhalten weiß, sondern gleichermaßen geschickt mit den Gefühlen des Lesers spielt; man wird ohnmächtig und mitfühlend, man wird rasend, rachsüchtig und gnadenlos, man genießt die Vendetta Maddstones förmlich, wurde ihm doch ein ganzes Leben gestohlen.

Nochmal: Fry ist es nicht nur gelungen, ein Meisterwerk durch die Jahrhunderte zu retten, und einer neuen Generation, in ihrem zeitlichen Kontext, näherzubringen, sondern auch, ein großartiges und mitreißendes Buch zu schreiben, dessen Nähe zum Klassiker keineswegs unerwähnt bleiben muss, schmälert sie doch nicht im geringsten seine herausragende Leistung. Eine wunderbare Geschichte über Neid, Angst, Freundschaft, Moral und Selbstbestimmung.

"Wir sind nur der Sterne Tennisbälle, Ned, aufgespielt, gewechselt, wie es ihnen passt."

Note: 1,25
  • Humor: 2
  • Anspruch: 1
  • Spannung: 1
  • Erotik: /
  • Piratenfaktor: 1
       

    

Sonntag, 24. Juni 2012

J.R. Moehringer - Tender Bar

Gebundene Ausgabe: 464 Seiten 
Verlag: S. Fischer
Erscheinungsdatum: 03. März 2008
ISBN: 978-3-10-049602-7


J.R. wächst in den ärmlichen Verhältnissen Manhassets auf, einem schicksalsträchtigen Kaff im Schatten New York Citys, dessen Bucht bereits F. Scott Fitzgerald zu seinem Epos "Der große Gatsby" inspirierte. Zwischen den Tavernen der Arbeiterklasse, den Imbissen, den Lacrosse-Plätzen und den prunkvollen Villen der Reichen, findet der in einem schäbigen, kleinen Haus mit Mutter und Großeltern lebende Protagonist die Vaterfigur, die in seinem Leben so schmerzlich fehlt, in einer ganzen Bar.

Eine liebevolle Clique aus zwielichtigen Schluckspechten und Taugenichtsen wird zu dem männlichen Bezugspunkt im Leben des Jungen. Sehnlichst erwartet er den Tag, an dem es ihm erlaubt ist, seinen ersten Drink zu ordern. Bis dahin glorifiziert er jedes Detail, das aus diesem dunklen, von Zigarettenrauch geschwängertem Utopia nach außen und zu ihm dringt. Bis es dann tatsächlich so weit ist, und J.R. endlich Teil der Gesellschaft im "Publicans" wird.

Moehringer erzählt in diesem, stark autobiografisch-geprägten Roman nicht nur von der träumerischen Liebeserklärung an eine fast schon mythologisch verklärte Bar, sondern auch davon, was es für einen Jungen bedeuten kann, ohne Vater aufzuwachsen. J.R. wird älter, verlässt Manhasset, verliebt sich, kehrt zurück, geht nach Yale, und doch bleibt er stets ein Teil der Bar - und umgekehrt. Es ist eine Geschichte über Verlust, über Familie, das Erwachsenwerden und - ganz nebenbei - über einen Jungen aus ärmlichen und zerrütteten Verhältnissen, der es bis in die Redaktion der altehrwürdigen New York Times schafft. 

"Tender Bar" ist eines dieser Bücher, die einen nie fesseln, und doch nicht mehr loslassen, bis man sie ausgelesen hat. Die Tatsache jedoch, dass man den biografischen Bezug nie so ganz ausblenden kann, lässt den Pulitzer-Preisträger Moehringer an einigen Stellen ganz natürlich ein wenig selbstgerecht wirken, was wahrscheinlich auch der Grund ist, warum dieser die Gattung des Romans für seine Jugendmemoiren gewählt hat. Insgesamt bleibt "Tender Bar" jedoch, den wenigen American-Dream-Ausdünstungen zum Trotz, eine schöne und liebevolle Coming-Of-Age-Geschichte, deren sympathische Atmosphäre den Leser für einige Zeit begleitet und Lust macht, sich endlich mal wieder in einer dieser klassischen, verrauchten Kneipen an den Tresen zu setzen, sich volllaufen zu lassen und die ganze Welt zu zerreden.

Note: 2,4
  • Humor: 2
  • Anspruch: 2
  • Spannung: 3
  • Erotik: 3
  • Piratenfaktor: 2
   

Freitag, 22. Juni 2012

Michael Ondaatje - Katzentisch

Gebundene Ausgabe: 304 Seiten 
Verlag: Hanser
Erscheinungsdatum: 06. Februar 2012
ISBN: 978-3-446-23858-9


Als sich der 11-jährige Michael in 1950'er Jahren an Bord der Oronsay begibt, ahnt er nicht, dass ihn das Schiff nicht nur von Ceylon nach London bringt, wo ihn seine Mutter und die Ausbildung an einer britischen Schule erwarten, sondern auch, dass die Reise sein Leben für immer beeinflussen wird.

Gleich zu Beginn der mehrwöchigen Schifffahrt, knüpft er Kontakt zu zwei anderen Jungen, die nicht nur das Schicksal des Alleinreisens mit ihm teilen, sondern auch seine Sitznachbarn am Katzentisch sind, dem Essensplatz, der am weitesten vom Tisch des Kapitäns entfernt ist. Dieses angedeutete soziale Stigma wird fast zu einem Symbol für Michaels gesamtes Leben in der Fremde, denn die Heimat, des in die Jahre gekommenen Erzählers, der uns, in der Rückschau, die Ereignisse der Reise schildert, blieb Ceylon, für immer. Doch Michael und seine Freunde, der ruhige und behutsame Ramadhin und der draufgängerische Cassius, genießen ihre Zeit am Katzentisch und die Gesellschaft, die ihnen die skurrile Runde aus Charakteren und Außenseitern beschert. 

An Bord der Oronsay erleben sie unzählige Abenteuer, Dramen und schicksalsumwobene Geheimnisse, die sich in die Lebensläufe der drei jungen Passagiere für immer einbrennen sollten. Selbst, wenn nur für ein paar Wochen; die Oronsay wurde zu ihrer ganzen Welt. Und auch dieser Mikrokosmos war bevölkert von Liebenden, von Gauklern, Gefangenen, Millionären und Dieben, von einsamen Jungfern, die sich heimlich um ihre geschmuggelten Tauben kümmern und charismatischen Pianisten, die jungen Frauen schelmische Blicke zu werfen. Und zum ersten Mal in ihrem Leben waren sie so etwas wie Erwachsene. 

Gefühlvoll, mitreißend und aufrichtig erzählt Ondaatje in "Katzentisch" die Geschichte einer Reise, die ein ganzes Leben wurde. Es ist sowohl eine Geschichte über Außenseiter als auch über das Erwachsenwerden in einer Welt, aus der man stets das Beste machen muss, oder mit den Worten des Romans: "Es gibt immer eine Geschichte, die einen erwartet. Noch kaum ausgeformt. Erst allmählich macht man sich mit ihr vertraut und gibt ihr Nahrung. Man entdeckt den Panzer, der den eigenen Charakter bergen und härten wird. Auf diese Weise findet man seinen Lebensweg."

Der tiefgründige Zauber und die Wortgewalt, mit der, der Bestseller-Autor Ondaatje, frei von jeder rührseligen oder pathetischen Nostalgie, in "Katzentisch" erzählt, machen es zu einem der besten Bücher, die ich je gelesen habe.

Note: 1,25
  • Humor: 2
  • Anspruch: 1
  • Spannung: 1
  • Erotik: /
  • Piratenfaktor: 1
  


Dienstag, 19. Juni 2012

Pete Dexter - Deadwood


Peter Dexter - Deadwood
Gebundene Ausgabe: 448 Seiten 
Verlag: Liebeskind
Erscheinungsdatum: 29. August 2011
ISBN: 978-3935890823


1876. In den Black Hills von South Dakota bestimmen versoffene Goldgräber, Hurentreiber und zwielichtige Revolverhelden das Bild der Zeit. Es ist die Ära der amerikanischen Geschichte, in der Städte manchmal schneller aus dem Boden schießen, als sie sollten.

Die lebende Legende "Wild Bill" Hickok und sein vermeintlich bester Freund Charley Utter sind gerade auf einem Treck in Deadwood angekommen, einem kleinen Städtchen voller Dreck, Gewalt und Sünde. Der in die Jahre gekommene "Wild Bill" sehnt sich, gezeichnet von Alter und Krankheit, nach dem bisschen Ruhe, das ihm in einem Leben der Duelle, der Frauen und des Risikos stets verwehrt geblieben ist. Wonach Utter sucht, weiß niemand - am wenigsten er selbst. Doch Deadwood hält weit mehr für die Beiden bereit, als sie denken. Es ist ein grausamer, ein tragischer Ort, indem der Tod, genau wie der nächste, wie sagt man, Fick, immer nur eine Straßenecke entfernt zu sein scheinen. Und so wartet das Schicksal auf jeden, der sich in dieses Wild-West-Sin-City verirrt - auch auf die vielen Helden bzw. Antihelden des Romans.

Mit viel Liebe zum historischen Detail, einem bitterbösen Humor und gewaltigen Worten beschwört Dexter in "Deadwood" das apokalyptische Horrorszenario einer aus Gier und Blut erbauten Kleinstadt zur Gründerzeit herauf, ohne dabei  genretypischen Wild-West-Fantasien auf den schleimigen Leim zu gehen. Was wir hier bekommen, ist ein tiefer Blick in die Abgründe der menschlichen Seele und die realen Auswüchse moralischer Verwahrlosung. Und doch ist die Geschichte geprägt von einer aufrichtigen und verzweifelten Melancholie. Denn bei all der Dunkelheit und dem Schmutz ist sie doch stets so ehrlich und entwaffnend klar, dass sie uns allen aus der Seele zu sprechen vermag - ob man das nun will oder nicht.

Und wie Dexter es in diesem grandiosen Roman ausdrückt: "Mann muss sündigen, damit einem vergeben wird."

Note: 1,6
  • Humor: 2
  • Anspruch: 1
  • Spannung: 2
  • Erotik: 2
  • Piratenfaktor: 1



    

  

Sonntag, 17. Juni 2012

Denis Johnson - Keine Bewegung!


Denis Johnson - Keine Bewegung!
Gebundene Ausgabe: 208 Seiten 
Verlag: Rowohlt 
Erscheinungsdatum: 12. März 2010 
ISBN: 978-3498032340


Barbershop-Sänger Jimmy Luntz ist alles andere als ein Chorknabe; er ist ein Spieler mit einem Hang dazu, in Schwierigkeiten zu geraten. Nachdem er das Geld zweier Gangster verzockt, soll ihm ein Denkzettel verpasst werden. Aus dem Nichts gelingt es dem notorischen Pechvogel jedoch, den Spieß umzudrehen und seinen vermeintlichen Attentäter anzuschießen. Unfähig, den Job zu Ende zu bringen, also seinen Killer zu töten, stiehlt Luntz dessen Wagen und entfacht damit unweigerlich eine hoffnungslose Verfolgungsjagd, die übermächtigen und wütenden Gegner im Nacken. 

Als Luntz dann inmitten seiner völlig planlosen Flucht auf die attraktive Indianerin Anita trifft, und diese, zu seiner eigenen Überraschung, in einer Bar abschleppt, ahnt er nicht, dass sein hübscher One-Night-Stand in einen Komplott um 2,3 Millionen Dollar verwickelt und auf der Suche nach einem Komplizen ist, um sich das ominöse Geld allein unter den Nagel zu reißen. Widerwillig und inkonsequent, wie Spieler, ihrer Natur entsprechend, von Zeit zu Zeit sein können, lässt er sich darauf ein - auch in der Hoffnung, die eigene Haut möglicherweise retten zu können. Abgesehen davon ist Anita eben auch sehr hübsch.

Es beginnt eine rasante Odyssee aus Gewalt, Sex und Missgeschicken, die weniger etwas mit althergebrachten Gangsterromanzen à la Bonnie und Clyde zu tun hat, sondern sich vielmehr im schwarzhumorigen Kriminalitätskosmos eines Quentin Tarantino abspielen könnte. Haufenweise bitterböse Szenen, pointierte Dialoge und der rasante Plot machen Johnsons Roman, mit dem, in der Tat, etwas ungelenken deutschen Titel "Keine Bewegung!", zu einem kurzweiligen Lesevergnügen, dem es jedoch immer ein wenig zum Klassiker fehlt. Gerade zum Ende hin, überschlagen sich die Ereignisse und die Geschichte wird an einigen Stellen eine Prise zu fahrig. Was man hier jedoch bekommt, ist, um bei den Vergleichen zur Welt des Films zu bleiben, eine unterhaltsame Gangstergeschichte an der Grenze zum Popcorn-Kino; kein Epos, aber auch keine Schmonzette; ein schmutziges und wildes Roadmovie, das zum Lachen bringt und erschreckt - nicht mehr, aber auch definitiv nicht weniger.

Note: 2,8
  • Humor: 2
  • Anspruch: 3
  • Spannung: 3
  • Erotik: 3
  • Piratenfaktor: 3



Freitag, 15. Juni 2012

Alexander Wolkow - Der Zauberer der Smaragdenstadt

Alexander Wolkow - Der Zauberer der Smaragdenstadt
Gebundene Ausgabe: 189 Seiten 
Verlag: Leiv Buchhandels- U. Verlagsanst.
Erscheinungsdatum: 2008 
ISBN: 978-3928885058


Als mir meine Mutter im Alter von ungefähr fünf Jahren zum ersten Mal aus "Der Zauberer der Smaragdenstadt" vorgelesen hat, wusste ich nichts von eisernen Vorhängen, von Sozialismus oder Klassenfeinden, sondern war ein Kind. Eine Mauer, die nicht nur Deutschland, sondern den Westen vom Osten getrennt hatte, war gerade gefallen, und die Geschichte, die mir meine Mutter vorlas, erinnerte mich nicht an andere Geschichten, ihre Charaktere waren mir gänzlich unbekannt, ihr Ende mir völlig neu.

George Lindt - Provinzglück


George Lindt - Provinzglück          
Taschenbuch: 218 Seiten 
Verlag: Fischer                                         
Erscheinungsdatum: November 2005  
ISBN: 978-3596166237


Wahrscheinlich hat jedes Buch, welches eine potentielle Leserschaft bzw. eine Zielgruppe vorzuweisen hat, auch irgendwo seine Existenzberechtigung. Da es zweifellos jede Menge Menschen gibt, die denken, dass sie in einem Till Schweiger-Film leben, dass sie den Individuellsten aller Musikgeschmäcker haben, dass sie bezaubernde Besonderheiten auf unserem schönen Erdenrund und noch dazu unglaublich verliebt in unsere durchgekaute Hauptstadt sind, kann man im Fall von "Provinzglück" wohl von einer Daseinsberechtigung sprechen.

Was man hier bekommt, hat man schon tausendmal gesehen, gehört und gelesen: selbstgefällige Pseudoreflexion, eine dösige Liebesgeschichte, das Verhältnis zweier bester Freunde zueinander und natürlich die Problematik des wirklichen Erwachsenwerdens. Man stelle sich nun diese durchaus bekannten Thematiken im Korsett der Dialoge eines deutschen Mid-Budget-Films à la Schweighöfer vor. Permanent hat der Leser das Gefühl einen Film zu sehen. Sicher, das ist erst mal nicht schlecht, spricht es doch für die Erzählerqualität des Autors, aber es ist in diesem Falle wahrlich kein guter Film. Alles wirkt gesetzt und überkonstruiert, wobei es zugegebenermaßen nicht unangenehm ist, Lindt's Sätze zu lesen. Was stört, sind - neben der Handlung -  die Charaktere; jeder kennt wahrscheinlich irgendeinen Typen, der genauso ist, wie Lindt's Protagonist Jan. Das Problem: dieser Typ ist ein Idiot, mit dem sich Leute, die nicht in sich selbst, in ihr eigenes dummes Gefasel und natürlich in Berlin in höchstem Maße verliebt sind, nur schwer identifizieren können. Alles in Allem lässt sich "Provinzglück" auch mit den Worten: „Bla Bla, Berlin, Bla Bla, Kreativberufe, Bla Bla, Bin ich unreif?, Bla Bla, Berlin, Fernbeziehung, Bla Bla, Bla, Berlin“ zusammenfassen.

Vielleicht sollte sich Lindt lieber auf das Schreiben von Drehbüchern konzentrieren – schließlich ist der Deutsche Film doch immer irgendwie „am Boden“. Was das Schreiben von Romanen betrifft: „Scheitern muss erlaubt sein. Scheitern gehört dazu. Scheitern, jetzt in den letzten Jahren, ist nicht mehr so schlimm, wie es zum Beispiel mal für unsere Eltern war“, wie George Lindt es selbst in diesem Meisterwerk der Zeitverschwendung formuliert. Na also.

Note: 5,0
  • Humor: 5
  • Anspruch: 4
  • Spannung: 5
  • Erotik: /
  • Piratenfaktor: 6




Harlan Ellison - Mephisto in Onyx

Harlan Ellison - Mephisto in Onyx 
Broschiert: 127 Seiten 
Verlag: Goldmann Wilhelm GmbH
Erscheinungsdatum:  1995 
ISBN: 978-3442081356


So oberflächlich es auch klingen mag; manche Bücher strahlen schon allein anhand ihres Titels und ihrer Aufmachung eine gewisse Anziehungskraft aus - genau, wie andere dadurch abzuschrecken vermögen. Die Novelle „Mephisto in Onyx“ ist gehüllt in ein Cover des renommierten Comiczeichners Frank Miller, welcher spätestens durch die Adaptionen seiner Comics „Sin City“ und „300“ auch einem breiten Publikum, jenseits aller Geek-Conventions, ein Begriff sein dürfte. Was den Autor hingegen betrifft, meint man es (zumindest im deutschen Raum) mit einem nahezu unbeschriebenen Blatt zu tun zu haben. Dass dies jedoch ein Trugschluss ist, offenbart ein kurzer Blick auf die unglaublich breit gefächerte Liste von Erzeugnissen, welche der 1934 geborene Harlan Ellison der Welt hinterlassen wird. Neben unzähligen Short-Stories, ein paar Drehbüchern, Sachbüchern, Novellen, Romanen, Comics und Hörspielen, gilt es wohl zu erwähnen, dass Ellison u. A. für einige Episoden der erfolgreichen Serienformate „Star Trek: Raumschiff Enterprise“, „The Outer Limits“ und natürlich „The Twilight Zone“ verantwortlich war. Wem nun die beiden letztgenannten Formate noch etwas sagen, der weiß wohlmöglich schon, wo die Reise mit „Mephisto in Onyx“ hingeht.

Ellison erzählt die Geschichte des Rudy Pairis, welcher bereits in seiner Kindheit entdeckte, dass er mit der zweifelhaften Gabe gesegnet ist, die Gedanken seiner Mitmenschen lesen und lenken zu können. Entgegen der ersten Vermutung, stellt dies für ihn nun keinen unbedingten Vorteil, kein Glück und keinen Segen dar; er verflucht seine Gabe, ist geplagt von Schuldgefühlen, da er partout kein Spanner, kein Voyeur sein will. Noch dazu gäbe es kaum einen Menschen, dessen Gedanken so rein wären, dass man, nach dem man in seine Gedankenlandschaft eingedrungen ist, nicht erst einmal geplagt von Depression und Ekel untertauchen müsse – eine interessante Sichtweise. Die Gabe durchzieht und beeinflusst Pairis gesamtes Leben und macht somit auch Bindungen zu anderen Menschen nahezu unmöglich; die einen wenden sich von ihm ab, die anderen versuchen sogar, ihn zu töten. Die Einzige, zu der Pairis eine Art Freundschaft pflegt, ist die Staatsanwältin Allison Roche. Beide sind nicht nur verbunden durch eine lange platonische Beziehung, sondern auch durch einen freundschaftlichen One-Night-Stand (!) vor Jahren, der wie eine unsichtbare Mauer des Schweigens zwischen den Freunden zu stehen scheint. Roche, die gerade – nach dreijähriger Ermittlung – den Serienkiller Henry Lake Spanning in den Todestrakt gebracht hat, bittet ihren Freund um einen überraschenden Gefallen: Rudy Pairis soll Spanning im Todestrakt einen Besuch abstatten, seine Gedankenwelt ergründen und so die Frage klären, ob der bestialische Mörder wirklich schuldig sei. Allison Roche ist auf einmal nämlich nicht nur von der Unschuld Spannings überzeugt, sondern hat sich noch dazu in selbigen verliebt – und dass, nur vier Tage vor dessen Hinrichtung. Widerwillig gibt Pairis dem Gesuch seiner Freundin nach, um sich kurz darauf auf den Weg ins Gefängnis zu machen.

Dass dem Leser nun die ein oder andere überraschende Wendung bevorsteht, ist bei einem Autor einschlägiger Formate wie „Outer Limits“ ja zu erwarten, wie sich das Ganze hier jedoch gestaltet, ist bemerkenswert unterhaltsam. Die rasante Novelle nimmt mit ansteigender Seitenzahl auch mehr und mehr Fahrt auf, stößt nicht nur den Leser vor den Kopf, sondern reißt auch alles bisher Erzählte einfach wieder ein und gewinnt somit immer mehr an Tiefe. Neben der Story, gilt es außerdem die Dialoge Ellisons hervorzuheben, die sich mit ihrem zynischen Straßen-Charme keineswegs in den dunklen Gassen moralisch-verfallener Großstädte zu verstecken brauchen. Wem die Monologe Rorschachs oder Detective Hartigans auf Celluloid gefallen haben, der wird hier zweifelsfrei ebenfalls auf seine Kosten kommen. Eine wilde Geschichte voller Dreck und menschlicher Abgründe, die kurzlebig und mit einem überraschenden Ende versehen, eine bis anderthalb Stunden gute Unterhaltung bietet.


Note: 2,6
  • Humor: 2
  • Anspruch: 3
  • Spannung: 2
  • Erotik: 3
  • Piratenfaktor: 3

Jorge Amado - Der Gestreifte Kater und die Schwalbe Sinhá

Daniel Wallace - Die Nacht der Wassermelonen


Daniel Wallace - Die Nacht der Wassermelonen
Gebundene Ausgabe: 246 Seiten 
Verlag: Eichborn
Erscheinungsdatum: 20. Februar 2004
ISBN: 978-3821809496


Ashland, Alabama – die personifizierte Südstaaten-Kleinstadt: heiß, engstirnig und geheimnisvoll. Was früher die Hauptstadt der Wassermelonen war, ist heute nichts weiter als eine Erinnerung; die einst weltbekannten Melonenfelder sind verdorrt, Stadt und Menschen stehen still und die Tradition, die Identität Ashlands, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Doch das war nicht immer so. Vor 19 Jahren war alles noch, wie es immer war und immer bleiben sollte: Die Menschen waren glücklich, die Sommer fantastisch und die Bürger der Stadt feierten jedes Jahr ihr Wassermelonenfest. Ashland war nicht irgendeine Stadt, sie hatte eine einzigartige Kultur, einen einzigartigen Mythos, Ashland war etwas Besonderes: die Welthauptstadt der Wassermelonen. Zumindest war sie es, bis eine Fremde in die Stadt kam, die alles verändern sollte. Als Lucy Rider in einem luftigen Sommerkleid und mit heruntergelassenen Fenstern in der Stadt hielt, um sich um ein paar der Immobilien ihres Vaters zu kümmern, war dies der Anfang vom Ende. Sie ließ sich für einige Zeit in der Stadt nieder und hatte keine Eile, nach Hause zurückzukehren. Lucy Rider war von einer Schönheit, wie sie in Ashland nicht anzutreffen war, sie trug Kleider, die es in Ashland nicht zu kaufen gab und sie tat Dinge, die man in Ashland nicht tat. Selbst wenn es ihr gelang, über die Doppelmoral und die Engstirnigkeit der Einwohner Ashlands hinwegzusehen, so war sie doch außerstande den archaischen und unmenschlichen Ritus zu akzeptieren, der den Kern des Wassermelonenfestes darstellte: die Krönung des Wassermelonenkönigs. Mit einer List erreichte Lucy zwar ihr Ziel, doch wurde sie von nun an von der gesamten Stadt geschnitten und steuerte unweigerlich auf die Tragödie zu: den Tag der Geburt ihres Sohnes, der gleichzeitig auch der Tag ihres eigenen Todes war.

Daniel Wallace erzählt uns die Geschichte des 18-jährigen Thomas Rider, welche sich nicht nur auf die Suche nach seiner Vergangenheit macht, sondern auch versucht, seine eigene Identität unterwegs zu finden. Aufgewachsen bei seinem Großvater, der eine gute Geschichte stets der Wahrheit vorzog, und einer Frau, die er Anna nennt, weiß er nicht viel über sich oder seine Eltern – nur, dass seine Mutter einst für einige Zeit in Ashland gelebt hat, er dort geboren und sie dort gestorben ist. Also macht er sich auf den Weg in die ehemalige Welthauptstadt der Wassermelonen. Auf der Suche nach der Wahrheit wird er – entgegen aller Erwartungen – mit offenen Armen empfangen. Denn die Einwohner Ashlands glauben an die Erfüllung eines Schicksals – lang lebe der König.

Wallace gelingt mit seiner clever-aufgebauten Generationengeschichte nicht nur ein feinfühliges Porträt einer vom Unglück geschundenen Familie, sondern auch ein Blick in die kindliche und verletzliche Seele der Kleinstädte, denen wir irgendwie alle entstammen. Hinter der Geschichte steckt viel mehr als eine provinzielle Südstaatenstory; es geht um den Umgang mit Verlust, den Umgang mit der Wahrheit und den Umgang mit allem, was passiert ist. „Die Wahrheit ist wie ein Fisch […]. Sie flutscht einem ständig durch die Finger. Deshalb strengen wir uns erst gar nicht groß an, und amüsieren uns über die Idioten, die’s versuchen und sich dabei mächtig naß spritzen.“ (S. 15.). Wallace erzählt – wie auch in seinem berühmten und von Tim Burton verfilmten Debut: „Big Fish“ – mit viel Witz und Magie und schafft so etwas, was den Wenigsten gelingt: Er macht aus einer ernsten, realen und tragischen Geschichte voller Zweifel und Konflikte das, was Kleinstadtbürger wohl als eine Legende bezeichnen würden.


Note: 2,4
  • Humor: 2
  • Anspruch: 2
  • Spannung: 3
  • Erotik: 3
  • Piratenfaktor: 2



John Strelecky - Das Café am Rande der Welt


John Strelecky - Das Café am Rande der Welt
Taschenbuch: 128 Seiten 
Verlag: Dtv 
Erscheinungsdatum: 1. Februar 2007 
ISBN: 978-3423209694

Ein Mann, gestresst und ausgepummt von Job, Karriere und Ellenbogengedusel, macht sich auf zu einem Wochenendausflug, um die "eigenen Batterien aufzuladen", wie er es selbst formuliert. Als er in einen Stau gerät, beschließt er kurzerhand, vom Highway abzufahren und auf eigene Faust nach einer Abkürzung zu suchen. Genervt von endlosen Landstaßen, Hunger, der anbrechenden Dunkelheit und der Erkenntnis, dass er sich völlig verfahren hat, strandet er schließlich in einem kleinen Café am Straßenrand, welches wir, mit unserem Hollywood-Filmwissen, wohl eher als "Diner" bezeichnen würden. Er setzt sich, schlägt die Speisekarte auf, hält Smalltalk mit der Bedienung, schaut sich um - bis ihm plötzlich etwas an der Karte auffällt. Nicht die Speisen sind außergewöhnlich, sondern drei Fragen, welche unheilvoll unter den Gerichten aufgeführt sind: "Warum bist du hier?", "Hast du Angst vor dem Tod?" und "Führst du ein erfülltes Leben?".

Donnerstag, 14. Juni 2012

Haruki Murakami - Gefährliche Geliebte


Haruki Murakami - Gefährliche Geliebte
Taschenbuch: 224 Seiten 
Verlag: btb Verlag
Erscheinungsdatum: 1. Juli 2002 
ISBN: 978-3442727957


Hajime ist ein Einzelkind. Im mittelständischen Vorstadts-Japan seiner Zeit ist er damit ein echter Exot, welcher sich immer irgendwie von den anderen unterscheidet und auf diese kindliche Weise auch isoliert. Das alles ändert sich, als er Shimamoto trifft: Die beiden werden zu freundschaftlichen Gefährten, deren Vertrautheit, eine tiefe, wenn auch naive Seelenverwandtschaft begründet. Als beide zwölf sind, trennen sich plötzlich ihre Lebensläufe - wie es bei Freundschaften in diesem Alter so oft der Fall ist: ein Umzug, ein Schulwechsel genügt, und man erwacht in einer anderen Welt ohne Brücken in die Vergangenheit, nur wenige Straßen entfernt. Trotzdem bleibt Shimamoto, das ruhige, leicht-hinkende Mädchen, mit all ihrer subtilen Schönheit und der Intimität, die beide, umgarnt von den Klängen alter Jazz-Platten, miteinander verband, über die Jahre, das bestimmende Ideal des Protagonisten Hajime.

Er erlebt erste Liebesbeziehungen und bricht gar ein Herz - er lebt das Leben eines jeden Teenagers (auch über die Grenzen Japans hinaus). Nach der Schule verlässt Hajime den Käfig seines Umfeldes und studiert Literatur in der Großstadt. Er knüpft kaum Beziehungen und Freundschaften und hält sich nach seinem Abschluss, allein und isoliert, mit einem eintönigen und tristen Lektoratsjob bei einem Kinderbuchverlag über Wasser. Nach fast zehn Jahren der sozialen Dürre lernt er seine Frau Yukiko kennen, deren wohlhabender, wenn auch ein wenig zwielichtiger Vater, beiden ein gut-situiertes Leben in der Oberschicht ermöglicht. Mit dem Kapital des Schwiegervaters eröffnet der bodenständige Hajime zwei Jazz-Clubs, die er nach seinem Ideal erschafft. Er lebt auf der Sonnenseite: eine liebevolle Frau, zwei kleine Töchter, keine Geldsorgen.

An einem verregneten Abend jedoch, als Hajime gerade in einer seiner Bars, am Tresen, nach dem Rechten sieht, tritt Shimamoto mit der Eleganz einer Halluzination zurück in sein Leben und durchbricht alles, was bisher bestand hatte.

Was Murakami hier geschrieben hat, ist weit mehr als eine bloße Geschichte über die glorifizierende Kraft einer Jugendliebe. Dieses Buch handelt vielmehr von der Leidenschaft und deren vermeintlichem Gegenteil: der Konvention. Die Beziehung zwischen Hajime und Shimamoto ist eine große Allegorie; eine komplexe Geschichte über Ordnung und Chaos, über Leben und Tod, liebevoll und grausam zugleich.

Nachdem ich bei "1Q84" schon aufgegeben hatte, hat Murakami mich mit dieser Geschichte wirklich begeistert und erobert. Ein herausragendes Buch!

Note: 1,8
  • Humor: 3
  • Anspruch: 1
  • Spannung: 2
  • Erotik: 1
  • Piratenfaktor: 2