Samstag, 24. November 2012

Carlos Ruiz Zafón - Der Gefangene des Himmels

Genre: Gegenwartsliteratur
Gebundene Ausgabe: 403 Seiten
Verlag: Fischer Verlage
Erscheinungstermin: 25. Oktober 2012
ISBN: 978-3-10-095402-2


Er hat es also gewagt: Für den Fortsetzungsroman seines Zyklus um den "Friedhof der vergessenen Bücher" hat sich Bestsellergarant Carlos Ruiz Zafón an der direkten Weitererzählung seines Smashhits "Der Schatten des Windes" versucht. Zugegeben, als diese Information durchsickerte, bekam ich ein ziemlich flaues Gefühl in der Magengegend, zählt der Roman doch zu meinen absoluten Lieblingen, und Fortsetzungen sind nun wirklich nicht immer ein Segen - das lehrt sowohl die Literatur- wie auch die Filmgeschichte. "Der Schatten des Windes", seiner Zeit der Auftakt zu Ruiz Zafóns düsterer Saga um die katalonische Hauptstadt Barcelona im letzten Jahrhundert, die Wirren, die Leiden und die Geheimnisse einer vom Krieg zerrütteten Metropole, war nicht ohne Grund ein absoluter Welterfolg. Die Gefahr nun, mit "Der Gefangene des Himmels", am eigenen Denkmal zu sägen, ist dementsprechend groß. Wie dem auch sei, nach "Der Schatten des Windes" und "Das Spiel des Engels" macht sich Ruiz Zafón also auf, seine, auf vier Teile angelegte Geschichte von Dunkelheit, Liebe und Gewalt weiterzuerzählen. 

Die Handlung soll genau dort ansetzen, wo der berühmte Vorgänger einst schloss. Ob dies nun wünschenswert oder gar notwendig war, bleibt natürlich jedem selbst überlassen - und führt mitunter zu der ewigen Frage danach, wem denn eine Geschichte wirklich gehöre; dem Autor oder seinen Lesern. Erzähler der Geschichte bleibt zwar der Antiquarssohn Daniel Sempere, der eigentliche Fokus soll jedoch auf dessen Freund, Fermín, liegen, den wir ebenfalls in "Der Schatten des Windes" kennengelernt haben. Neben der bevorstehenden Heirat Fermíns, beleuchtet Ruiz Zafón vor allem dessen grausige Vergangenheit: ein Martyrium in den Fängen des sagenumwobenen Gefängnisses im Castell de Montjuïc, das während des Franco-Regimes unter anderem für die Inhaftierung politischer Gegner genutzt wurde. Neben den grauenvollen Haftbedingungen setzt Fermín und seinen Mitgefangenen, unter denen sich auch ein gewisser David Martín, seines Zeichens Protagonist aus Ruiz Zafóns "Spiel des Engels" und enger Freund der Mutter des Helden, Daniel Sempere, befindet, vor allem der skrupellose Gefängnisdirektor, Mauricio Valls, zu. Erneut spielt sich die Handlung also in Vergangenheit und Gegenwart ab.
  
Fermín, der diese dunkle Epoche seines Lebens inzwischen hinter sich zu wissen glaubt, würd jedoch aus dem Nichts, kurz vor seiner Hochzeit, von ihr heimgesucht, als plötzlich ein mysteriöser Fremder in der Buchhandlung der Semperes erscheint und ihm ein Geschenk hinterlässt: ein Exemplar des "Grafen von Monte Christo", dem Epos aller Gefängnisausbrecher - und aller Rächer. Wieder einmal verschwimmen die Grenzen zwischen Gegenwart und Vergangenheit: Die Ereignisse der dunklen Kriegsjahre scheinen dunkle Schatten auf die selige Ruhe der Gegenwart zu werfen, und nicht nur Konsequenzen für Fermín zu haben, sondern auch für Daniel, seinen besten Freund. Und steckt hinter all dem vielleicht doch so etwas wie ein großer Strippenzieher?
  
Kommen wir nun zu dem Teil, der mir wirklich nicht leicht fällt, und um den ich mich seit einer ganzen Weile zu drücken versucht habe, fühlt es sich doch so an, als müsste man einem sehr guten Freund, eine schmerzliche Wahrheit offenbaren: Carlos Ruiz Zafón, Sie haben ein mittelmäßiges, ja, ein selbstgefälliges Buch geschrieben, das seinem berühmten und gerühmten Vorgänger nicht einmal im Ansatz gerecht zu werden vermag. Sicher, man hat sich paratextuell große Mühe gegeben, das Ganze ein wenig auszustaffieren; so erscheint "Der Gefangene des Himmels" nicht nur mit einer "stylischen" Karte des alten Barcelona auf den Innenseiten des Buchrückens, nein, es wirkt außerdem augenscheinlich wie das dickste und umfangreichste Werk der Serie, und das, obwohl es mit gut zweihundert Seiten weniger im Gepäck kommt, als es noch die anderen Romane um den "Friedhof der vergessenen Bücher" taten. Neu ist auch, dass es ein Vorwort gibt, welches dem Leser erklärt, dass er jeden Roman des Zyklus unabhängig voneinander und gar in beliebiger Reihenfolge lesen könne. Bei "Der Schatten des Windes" und dem fantasygeschwängerten "Spiel des Engels" mag dies noch zugetroffen haben, für "Der Gefangene des Himmels" darf es jedoch nicht gelten, denn ohne die Bezugspunkte aus den anderen Büchern, würde einen die ohnehin dünne Handlung noch weit weniger mitreißen.

Was ich vorher an Ruiz Zafón immer geliebt habe, wirkt jetzt automatisiert und herunter gespult: all die große Mystik, die fantasievollen Beschreibungen der düsteren Atmosphäre, die Verstrickungen der einzelnen Handlungsstränge sind nun nicht viel mehr, als ein bloßes Mittel zum Zweck. Drei Jahre, für nicht mehr als eine plakative Hommage an Alexandre Dumas und ein paar neue Erkenntnisse zur eigentlichen Geschichte? Das ist mir zu wenig, Señor.  

Natürlich ist "Der Gefangene des Himmels" noch immer besser, als vieles, was der Literaturbetrieb so an Land spült - auf der Höhe seiner Möglichkeiten ist Ruiz Zafón hier jedoch bei Weitem nicht.


Note: 3,0

  • Humor: 3
  • Anspruch: 3
  • Spannung: 3
  • Erotik: /
  • Piratenfaktor: 3

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